Welche schulischen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurden bisher untersucht und wie wurden sie bewertet?

Warum ist diese Frage wichtig?

Um die Ausbreitung von SARS-COV-2 zu bekämpfen und die Folgen von COVID-19 abzumildern, haben Länder weltweit eine Vielzahl von Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens ergriffen. In vielen Ländern war eine der ersten Reaktionen die Schließung von Schulen. Mitte April 2020 hatten 192 Länder ihre Schulen geschlossen, hiervon waren weltweit mehr als 90% der Schüler betroffen. Dies hat das Schul-, Familien-, und Arbeitsleben stark beeinträchtigt, was wahrscheinlich folgende negative Auswirkungen hatte:

- eine Verschlechterung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen;
- die Zunahme von Ungleichheiten zwischen Kindern beziehungsweise Jugendlichen aus benachteiligten und privilegierteren Verhältnissen;
- einen möglichen Rückgang des Einkommens der Eltern und der Arbeitsplatzsicherheit;
- einen möglichen Verlust der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern.

In Anbetracht der möglichen negativen Folgen von Schulschließungen haben viele Länder inzwischen die Schulen wieder geöffnet. Um die Krankheitsübertragung zwischen Schülern, zwischen Personal und Schülern und bezüglich weiterer Personengruppen zu vermeiden, wurden vielfältige Maßnahmen bezogen auf den schulischen Kontext umgesetzt. Dazu zählen:

- Gesichtsmasken, die von den Schülern und Mitarbeitern getragen werden, sowie regelmäßiges Händewaschen;
- Anpassung schulischer Aktivitäten (z.B. kein Singen im Musikunterricht);
- Verbesserung der Belüftungssysteme; und
- das Screening von Verdachtsfällen bezüglich einer Infektion.

Bislang wissen wir wenig darüber, welche schulischen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 bisher untersucht wurden und wie sie bewertet wurden. Es ist wichtig, dies herauszufinden, sodass wir mit der Zeit die Effektivität verschiedener Maßnahmen vergleichen und Informationen für zukünftige politische Richtlinien bereitstellen können.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Evidenz bezüglich schulbasierter Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zu identifizieren und zu erfassen. Diese Forschungsarbeit soll die Grundlage für einen zukünftigen Review zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen bilden. Dieser Review wird in die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Leitlinien einfließen.

Wie haben wir die Evidenz identifiziert und zugeordnet?

Wir suchten zunächst nach Studien, die Interventionen an Schulen evaluierten, die die Verbreitung von COVID-19 verhindern sollten. Wir berücksichtigten alle Arten von Studien und ein breites Spektrum von Endpunkten, einschließlich:

- die Übertragung einer Infektionskrankheit;
- andere gesundheitsschädliche oder -fördernde Wirkungen;
- breitere Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Bevölkerung.

Dann haben wir die Studien gruppiert, je nachdem wie ähnlich oder unterschiedlich sie waren. Dies ermöglichte uns, zu bestimmen:

- welche Arten von Studien zur Bewertung von bisherigen Maßnahmen verwendet worden waren;
- wo die Studien durchgeführt worden waren;
- welche Arten von Interventionen evaluiert worden waren; und
- welche Endpunkte bei Studien genutzt wurden.

Was haben wir herausgefunden?

Wir fanden 42 Studien.

Studientypen

31 Studien verwendeten ein mathematisches Modellierungsdesign, um die Auswirkungen von Maßnahmen auf Populationen vorherzusagen. Zwei Studien verwendeten experimentelle Designs, bei denen die Forscher Personen oder Settings in Gruppen einteilten, um die Auswirkungen der verschiedenen Maßnahmen zu vergleichen. Neun Studien verwendeten ein Beobachtungsdesign, bei dem die Forscher lediglich die Wirkung der Intervention beobachteten.

Setting der Studie

Die Studien wurden in Europa (20 Studien), Nord- und Südamerika (13 Studien), dem Westpazifikraum (6 Studien) und dem östlichen Mittelmeerraum (1 Studie) durchgeführt. Die meisten Studien evaluierten Maßnahmen in mehr als einem Schulsetting (z. B. Grundschule und Sekundarschule). Drei Studien konzentrierten sich auf weiterführende Schulen.

Art der Intervention

In den Studien wurden drei Arten von Maßnahmen evaluiert:

1. Organisatorische Maßnahmen zur Reduzierung der Übertragung von SARS-CoV-2 (36 Studien): Dazu gehören:

- Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos einer Krankheitsübertragung zwischen Personen, die miteinander in Kontakt kommen (z. B. Gesichtsmasken und Maßnahmen zur körperlichen Distanzierung); und
- Maßnahmen zur Reduzierung von Kontaktmöglichkeiten (z. B. gestaffelte Ankunfts-, Pausen- und Abfahrtszeiten).

2. Strukturelle oder umweltbezogene Maßnahmen zur Reduzierung der Übertragung von SARS-COV-2 (11 Studien): z. B. Aufteilung von Schulhöfen oder Verbesserung der Luftzirkulation.

3. Überwachungs- und Reaktionsmaßnahmen zur Erkennung von SARS-CoV-2-Infektionen (19 Studien): Dazu gehören:

- Tests, Rückverfolgung und Screening auf Symptome; und
- Isolation von bestätigten Fällen oder Quarantäne von Verdachtsfällen.

Untersuchte Endpunkte

Die Studien untersuchten die Auswirkungen der Maßnahmen auf:

- die Übertragung von SARS-COV-2 (29 Studien), einschließlich der Anzahl der neuen Fälle oder der durchschnittlichen Anzahl der Personen, an die eine infizierte Person das Virus weitergibt (Reproduktionszahl R);
- die Nutzung des Gesundheitswesens (8 Studien), z. B. die Anzahl der Krankenhausaufenthalte;
- andere gesundheitsbezogene Endpunkte (3 Studien), z. B. das Risiko, ein Handekzem (eine Hauterkrankung) zu entwickeln; und
- gesellschaftliche, wirtschaftliche und andere Endpunkte auf Bevölkerungsebene (5 Studien), einschließlich Kosten.

Welche Schlussfolgerungen können wir aus unseren Ergebnissen ziehen?

Bisher wurde eine Vielzahl schulischer Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 untersucht und evaluiert. Bei Evaluationen dieser Maßnahmen haben Forscher verschiedene Methoden angewendet und unterschiedliche Endpunkte untersucht. Dieser Review ist ein erster wichtiger Schritt, um festzustellen, welche Evidenz vorhanden ist und um zukünftigen Rapid Reviews zu diesem Thema eine Informationsgrundlage zu bieten.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Wir haben eine heterogene und komplexe Evidenzgrundlage von Maßnahmen identifiziert, die im schulischen Setting umgesetzt werden. Dieser Review bildet einen ersten wichtigen Schritt zur Schaffung von Verständnis bezüglich der vorhandenen Evidenz und eine Informationsgrundlage für zukünftige Rapid Reviews zu diesem Thema.

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Hintergrund: 

Als Antwort auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2 und die Auswirkungen von COVID-19 führten nationale und regionale Regierungen eine Vielzahl an Maßnahmen ein, um die Ausbreitung des Virus und der damit verbundenen Krankheit zu kontrollieren. Diese Maßnahmen wurden zwar mit der Absicht verhängt, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, waren aber auch mit schwerwiegenden psychosozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene verbunden. Die Schule ist ein Umfeld (Setting), welches stark von diesen Maßnahmen betroffen ist. Mitte April 2020 waren in 192 Länder die Schulen geschlossen. Davon waren mehr als 90% der Schüler weltweit betroffen. In Anbetracht der unerwünschten Folgen von Schulschließungen öffneten weltweit viele Länder ihre Schulen in den Monaten nach den ersten Schließungen wieder. Um die Schulen sicher wieder öffnen zu können und offen zu halten, setzten die Regierungen eine breite Vielfalt von Maßnahmen um.

Die Evidenz in Bezug auf diese Maßnahmen ist jedoch heterogen, mit einer Vielzahl von Studiendesigns, Populationen, Settings, Interventionen und Endpunkten, die untersucht wurden. Um diese Heterogenität sinnvoll interpretieren und nutzen zu können, haben wir einen Rapid Scoping Review durchgeführt (8. Oktober bis 5. November 2020). Dieser Rapid Scoping Review soll als Vorstufe für einen Systematischen Review zur Überprüfung der Wirksamkeit dienen und soll mit seinen Ergebnissen in Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einfließen. Dieser Review wurde gemäß der Checkliste Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses extension for Scoping Reviews (PRISMA-ScR) berichtet und wurde auf der Webseite des Open Science Frameworks registriert.

Zielsetzungen: 

Ziel war es die Evidenz zu identifizieren und umfassend darzustellen, um die Auswirkungen von Maßnahmen zu bewerten, die an Schulen eingeführt wurden, um Schulen während der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie wieder öffnen zu können oder offen zu halten, oder beides. Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Arten der Maßnahmen, die in verschiedenen schulischen Settings eingeführt wurden, den Endpunkten zur Effektmessung und den Studientypen, die bei ihrer Erhebung verwendet wurden.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane COVID-19 Study Register, MEDLINE, Embase, die CDC COVID-19 Research Articles Downloadable Database für Preprints und die WHO COVID-19 Global literature on coronavirus disease Datenbank am 8. Oktober 2020.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen Studien ein, die die Auswirkungen von Maßnahmen bewerteten, die im schulischen Setting umgesetzt wurden. In den Review wurden Bevölkerungsgruppen mit einem Risiko sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren oder an COVID-19 zu erkranken oder beides eingeschlossen. Dazu gehörten Personen, die sowohl direkt als auch indirekt von den Interventionen betroffen waren, wie Schüler, Lehrer, anderes Schulpersonal und Kontaktpersonen dieser Gruppen sowie weitere gesellschaftliche Gruppen. Wir berücksichtigten alle Arten von empirischen Studien, die Auswirkungen quantitativ bewerteten, einschließlich epidemiologischer Studien, Modellierungsstudien, Studien mit Mixed-Methods Ansatz und Diagnosestudien, die die Auswirkungen relevanter Interventionen über die diagnostische Testgenauigkeit hinaus bewerteten. Zu den allgemeinen Endpunktgruppen, die von Interesse waren, gehörten Endpunkte, die im Zusammenhang mit der Übertragung einer Infektionskrankheit stehen, andere gesundheitsschädliche oder -fördernde Endpunkte sowie Endpunkte zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir extrahierten die Daten aus den eingeschlossenen Studien auf standardisierte Weise und ordneten sie, soweit möglich, den Kategorien aus unserem zuvor erstellten logischen Modell zu. Wo dies nicht möglich war, haben wir induktiv neue Kategorien erstellt. In Übereinstimmung mit allgemeinen Standarderwartungen an einen Scoping-Review bietet der Review einen Überblick über die vorhandene Evidenz, unabhängig von der methodischen Qualität oder dem Risiko für Bias. Er war nicht darauf ausgelegt Daten zur Wirksamkeit zu synthetisieren, das Risiko für Bias zu bewerten oder die Stärke bzw. Qualität der Evidenz (GRADE) zu beschreiben.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 42 Studien ein, welche die Effekte von Maßnahmen untersuchten, die im schulischen Setting implementiert wurden. Die Mehrheit der Studien verwendete mathematische Modellierungsdesigns (n = 31), während neun Studien Beobachtungsdesigns verwendeten und zwei Studien experimentelle oder quasi-experimentelle Designs nutzten. Die Studien, welche unter Realbedingungen durchgeführt wurden oder die mit realen Daten arbeiteten, stammten vor allem aus den WHO-Regionen Europa (EUR; n = 20), Amerika (AMR; n = 13), der Region des Westpazifiks (WPR; n = 6) und der WHO-Region Östliches Mittelmeer (EMR; n = 1). Eine Studie führte eine länderübergreifende Untersuchung durch und eine Studie lieferte Daten, die weder aus einem bestimmten Land stammten noch auf ein bestimmtes Land anwendbar waren.

Aus den eingeschlossenen Studien ergaben sich drei größere Interventionskategorien: organisatorische Maßnahmen zur Reduzierung der Übertragung von SARS-CoV-2 (n = 36), strukturelle/umweltbezogene Maßnahmen zur Reduzierung der Übertragung von SARS-CoV-2 (n = 11) und Überwachungs- und Reaktionsmaßnahmen zur Erkennung von SARS-CoV-2-Infektionen (n = 19). Die meisten Studien betrachteten in Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Übertragungen stehende Endpunkte (n = 29), während andere die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens (n = 8), andere gesundheitsbezogene Endpunkte (n = 3) und gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Endpunkte (n = 5) untersuchten. Die Studien betrachteten sowohl schädliche als auch nutzbringende Endpunkte über alle Endpunktgruppen hinweg.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

PLS: M. Davia, Abstract: T. Heise freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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