Kernaussagen
- Studien zeigen, dass es bei den meisten Erwachsenen und Kindern sicher ist, mit Bluttransfusionen zu warten, bis der Hämoglobinwert auf 7,0 bis 8,0 g/dL fällt. Im Vergleich zu einer Transfusion bei höheren Werten (9,0 g/dL bis 10,0 g/dL) erhöht sich dadurch das Risiko für Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenentzündung, Blutgerinnsel oder Infektionen nicht. Dadurch könnten unnötige Transfusionen vermieden werden, die mit Risiken verbunden sind.
- In einigen Studien werden neben den Hämoglobinwerten weitere Kriterien bzw. Methoden untersucht, um festzustellen, wann eine Transfusion erforderlich ist.
- Erwachsene mit akuten Hirnverletzungen könnten davon profitieren, wenn ihr Hämoglobinspiegel höher gehalten wird. Dies könnte ihre Gehfähigkeit und Selbstständigkeit im Alltag verbessern. Um das Verständnis für andere Endpunkte als die Mortalität – insbesondere die Lebensqualität – zu verbessern und zu klären, welche Patientengruppen von höheren Hämoglobinwerten als Grenzwert für Bluttransfusionen profitieren könnten, ist weitere Forschung erforderlich.
Was geschieht bei Menschen, die Bluttransfusionen benötigen?
Bei Operationen, Blutungen oder Erkrankungen erhalten Menschen mit einem niedrigen Hämoglobinwert (Anämie) oft Bluttransfusionen. Diese sollten jedoch nur dann verabreicht werden, wenn sicher ist, dass sie den Patientinnen und Patienten tatsächlich helfen. Blut ist eine begrenzte Ressource und Bluttransfusionen bergen Risiken – insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen, in denen Tests auf Infektionserreger wie HIV oder Hepatitis oft nur eingeschränkt verfügbar sind.
Was wollten wir herausfinden?
Das Blutbild zeigt, wie viel Hämoglobin im Blut vorhanden ist. Hämoglobin ist ein Protein, das Sauerstoff im Körper transportiert. Ein normales Blutbild liegt bei oder über 12 Gramm pro Deziliter (12 g/dL). Wir wollten herausfinden, ob es sicher ist, Bluttransfusionen erst dann zu verabreichen, wenn die Blutwerte niedrigere Schwellen erreichen, anstatt bereits bei höheren Werten zu transfundieren.
Wie gingen wir vor?
Wir untersuchten die Ergebnisse von Studien, bei denen die Personen zufällig einer von zwei Gruppen zugeordnet wurden (z. B. durch Werfen einer Münze). In einer Gruppe erhielten die Teilnehmenden nur dann Bluttransfusionen, wenn ihr Blutbild unter einen höheren Grenzwert fiel (in der Regel 9,0 g/dL bis 10,0 g/dL). In der anderen Gruppe erhielten die Teilnehmenden nur dann Transfusionen, wenn ihr Blutbild unter einen niedrigeren Grenzwert fiel (in der Regel 7,0 g/dL bis 8,0 g/dL). (Der „Grenzwert“ bezeichnet den Hämoglobinwert, ab dem eine Transfusion verabreicht wird.)
Was fanden wir heraus?
Wir fanden 79 Studien mit 31 457 Erwachsenen und 2864 Kindern. Die Teilnehmenden befanden sich aus unterschiedlichen medizinischen Gründen in Behandlung. Dazu zählen orthopädische Eingriffe (Operationen an Knochen), Herzoperationen, Eingriffe an Blutgefäßen, intensivmedizinische Behandlungen, Blutungen im Magen-Darm-Trakt, Erkrankungen des Blutes (z. B. Blutkrebs), Verletzungen des Nervensystems (z. B. Gehirnverletzungen) und Entbindungen. In den Studien wurden höhere oder niedrigere Grenzwerte für Bluttransfusionen verglichen.
Transfusion
Wir fanden heraus, dass Erwachsene, die erst bei niedrigeren Blutbildwerten Transfusionen erhielten, eine um 42 % geringere Wahrscheinlichkeit hatten, eine Bluttransfusion zu erhalten, als diejenigen, die schon bei höheren Blutbildwerten Transfusionen erhielten. Die Ergebnisse für Kinder waren ähnlich, aber die Zahl der Studien, die Kinder einschlossen, war viel geringer.
Tod und unerwünschte Wirkungen
Insgesamt zeigte sich bei den meisten Teilnehmenden kein klarer Unterschied im Risiko, innerhalb von 30 Tagen nach einer Bluttransfusion zu sterben – egal, welcher Grenzwert für die Transfusion verwendet wurde. Nur bei Personen mit Magen-Darm-Blutungen ist das Risiko zu sterben geringer, wenn die Transfusion erst bei einem niedrigeren Grenzwert gegeben wird.
Auch in Bezug auf die Anzahl schwerwiegender unerwünschter Ereignisse wie Infektionen, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Blutgerinnsel, gab es wenig bis gar keine Unterschiede zwischen den Grenzwertgruppen.
Wir fanden heraus, dass sich Erwachsene mit schweren, akuten Hirnverletzungen bei einer liberalen Transfusionsstrategie (d.h. Bluttransfusionen werden bereits bei höheren Hämoglobinwerten gegeben) nach 6 bis 12 Monaten besser erholen.
Was schränkt die Aussagekraft der Evidenz ein?
Die meisten Studien wiesen eine hohe methodische Qualität auf. Ihre Durchführung war angemessen, und die verwendeten Methoden trugen wirksam dazu bei, Verzerrungen zu vermeiden, die die Aussagekraft der Ergebnisse hätten beeinträchtigen können. Die Evidenzlage zur Wahrscheinlichkeit einer Transfusion, zur 30-Tage-Sterblichkeit nach Transfusion sowie zu den Risiken für Herzinfarkt, Schlaganfall und Infektionen gilt als gesichert. Die Evidenzlage für Infektionen und für Blutgerinnsel ist moderat. Allerdings gab es weniger Fälle von Blutgerinnseln in den Studien. Dadurch ist die Aussagekraft für dieses Ergebnis eingeschränkt. Die Anzahl der Studien unterschied sich je nach Erkrankung; in einigen Bereichen (z. B. Blutkrebs und Gefäßchirurgie) besteht noch ein Bedarf an weiterer Evidenz.
Fast die Hälfte der Studien berichtete über die Lebensqualität der Teilnehmenden. Es war jedoch schwierig, die Studien miteinander zu vergleichen und festzustellen, ob eine der Transfusionsstrategien besser war als die anderen.
Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?
Es handelt sich um eine Aktualisierung des zuletzt im Jahr 2021 aktualisierten Reviews. Es sind 31 neue Studien enthalten. Die Evidenz ist auf dem Stand von Oktober 2024.
B. Schindler, A. Zink, freigegeben durch Cochrane Deutschland