Maßnahmen zum Mobilitätsmanagement, die es zum Ziel haben, Jugendliche vom Autofahren abzuhalten, die Häufigkeit des Fahrens zu reduzieren oder es aufzuschieben

Fragestellung des Reviews

In diesem Review wurde die Evidenz von randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) sowie kontrollierten Vorher-Nachher-Studien (CBAs) bewertet, die sich mit der Frage beschäftigten, ob „Mobilitätsmanagement“ dazu beitragen kann, Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren vom Autofahren abzuhalten, die Häufigkeit des Fahrens zu reduzieren oder es aufzuschieben.

Hintergrund

Trotz sicherheitsorientierter Weiterbildungsprogramme und Programmen, die das Fahren von Jugendlichen einschränken sollen (Begleitetes Fahren), bleibt die Zahl der Verletzten und Todesfälle, die durch jugendliche Autofahrer verursacht werden, hoch. Zudem führt Autofahren zu Bewegungsmangel und stellt damit auch ein Gesundheitsrisiko dar. Darüber hinaus gefährdet es die Umwelt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe.

Unter dem Begriff "Mobilitätsmanagement" versteht man Maßnahmen, die Menschen jeden Alters dazu anzuregen, weniger mit dem Auto zu fahren. Hierzu zählen u.a. häufiger zu Fuß zu gehen, das Fahrrad zu nehmen oder öffentliche Verkehrsmittel oder Carsharing zu nutzen. Zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr sind Menschen am ehesten dazu bereit, ihre Lebensweise zu ändern. Dies könnte also der ideale Zeitpunkt sein, um Jugendliche mit Hilfe von Mobilitätsmanagement davon abzuhalten, mit dem Auto zu fahren, die Häufigkeit des Fahrens zu reduzieren oder es aufzuschieben. Auf diese Weise könnten das Fahrverhalten langfristig beeinflusst und Risiken in Verbindung mit dem Fahren eingedämmt werden.

Datum der Literatursuche

Wir suchten nach RCTs (klinische Studien, in denen die Teilnehmer zufällig in eine von zwei oder mehreren Behandlungsgruppen eingeteilt werden) und CBAs (hier findet keine zufällige Zuteilung statt, jedoch werden die Ergebnisse vor und nach einer Maßnahme erfasst), die bis einschließlich 16. August 2019 veröffentlich wurden.

Studienmerkmale

Wir fanden eine kleine RCT. In dieser Studie erhielten 178 Studenten (Durchschnittsalter 18 Jahre) ohne Führerschein verschiedene Informationen zu den negativen Aspekten des Autofahrens. Drei Studentengruppen wurden jeweils ausschließlich über Kosten, Risiken oder Stress in Verbindung mit dem Autofahren informiert. Eine vierte Gruppe erhielt Informationen zu allen drei Aspekten und eine fünfte Gruppe erhielt keinerlei Informationen.

Außerdem fanden wir eine CBA mit 860 Teilnehmern. In dieser Studie erhielten 17- bis 18-jährige Schüler, die an einem Theoriekurs zum Thema Autofahren teilnahmen, eine zusätzliche Unterrichtseinheit zum Thema aktive Mobilität (z.B. zu Fuß gehen oder Fahrradfahren). Eine zweite Gruppe wurde zusätzlich in eine Facebook-Gruppe zu diesem Thema eingeladen. Die Schüler der dritten Gruppe erhielten keinerlei Zusatzinformation. Außerdem wurden sie gefragt, ob für sie aktive Mobilität nach dem Bestehen der Führerscheinprüfung weiterhin eine Option sei. Viele Teilnehmer beendeten die Studie jedoch nicht.

Hauptergebnisse

In der RCT wurde berichtet, dass aus der Gruppe, die negative Informationen zum Autofahren erhielt, weniger Studenten innerhalb eines Zeitraums von 18 Monaten ihren Führerschein machten, als in der Gruppe ohne Informationen.

In der CBA wurde berichtet, dass unmittelbar nach der Unterrichtseinheit die Teilnehmer, die zusätzlich in einer Facebook-Gruppe waren, zunächst eine geringere Bereitschaft zur aktiven Mobilität aufwiesen. Acht Wochen später war dies jedoch die einzige Gruppe, in der die Absicht zur Nutzung aktiver Verkehrsmittel gestiegen war.

Wir stuften die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz in beiden Studien als sehr niedrig ein. Die Studien gaben keinerlei Auskunft über Fahrhäufigkeit, Fahrstrecken, Fahrdauer, Nutzung alternativer Verkehrsmittel oder Autounfälle.

Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Wir fanden nur zwei kleine Studien, in denen verschiedene Arten des Mobilitätsmanagements untersucht wurden. Daher konnten wir die Ergebnisse nicht mit anderen ähnlichen Untersuchungen vergleichen, um zu prüfen, ob dieselben Ergebnisse erzielt wurden. Ebenso sind wir nicht sicher, ob diese Programme unter realen Bedingungen dieselben Ergebnisse zeigen würden. Einige Methoden in der RCT wurden nicht zufriedenstellend dokumentiert. Wir gehen davon aus, dass die Teilnehmer der verschiedenen Gruppen möglicherweise Informationen untereinander ausgetauscht haben, was die Studienergebnisse beeinflusst haben könnte.

Da die Teilnehmer einer CBA nicht zufällig in Gruppen eingeteilt werden, wird dieses Studiendesign mit einem höheren Risiko für Bias bewertet. In der hier ausgewerteten CBA unterschieden sich die Merkmale der Schüler in den unterschiedlichen Gruppen. Außerdem haben sehr viele Teilnehmern nicht alle Fragebögen zu den gegebenen Zeitpunkten ausgefüllt.

Folglich bewerten wir die Qualität der Evidenz dieser Studien als sehr niedrig.

Schlussfolgerungen

Wir haben nur zwei kleine Studien gefunden, in denen die Art und Weise untersucht wurde, Jugendliche über Mobilitätsmanagement zu informieren. Wir sind nicht sicher, ob diese Informationen Jugendliche beeinflussten, ihren Führerschein zu machen oder nach dem Erhalt ihres Führerscheins weiterhin aktive Mobilität (Laufen oder Fahrradfahren) zu nutzen, da die Qualität der Evidenz sehr niedrig war. Die Risiken des Autofahrens betreffen auch die öffentliche Gesundheit. Wir haben hierzu allerdings keine zufriedenstellende Evidenz gefunden. Deshalb sind umfangreichere Studien mit einer langfristigen Nachbeobachtung (Monitoring) nötig, um festzustellen, ob Jugendliche dazu ermutigt werden können, weniger zu fahren oder erst später damit anzufangen.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Wir fanden nur zwei kleine Studien und konnten daher nicht feststellen, ob Interventionen zum Mobilitätsmanagement effektiv dazu beitragen, Jugendliche vom Fahren abzuhalten, die Fahrhäufigkeit zu reduzieren oder es aufzuschieben. Die fehlende Evidenz in diesem Review führt zu zwei Punkten. Zum einen muss mehr Grundlagenforschung betrieben werden, um herauszufinden wie und warum junge Menschen Entscheidungen rund um ihre persönliche Fortbewegung treffen. So kann festgestellt werden, was sie dazu bewegen könnte, ihren Führerschein später zu machen und so auch später mit dem Fahren zu beginnen. Zum anderen besteht der Bedarf nach Langzeitstudien mit einem robusten Studiendesign (z.B. RCTs) mit mehr Studienteilnehmern aus verschiedenen sozioökonomischen Gruppen, um die Realisierbarkeit und Effektivität der relevanten Interventionen zu untersuchen. Idealerweise wird in diesen Studien auch darauf eingegangen, wie sich die Einstellung und Überzeugung der Jugendlichen innerhalb dieser Übergangsjahre verändern können und inwiefern sich dies auf die Gestaltung der Interventionen zum Mobilitätsmanagement für diese Altersgruppe auswirken kann.

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Hintergrund: 

Die Verletzungs- und Todeszahlen bei Autounfällen mit jugendlichen Fahrern sind in den meisten Ländern mit hohem Einkommen weiterhin hoch. Die Autonutzung birgt neben Verletzungen und Todesopfern aber auch andere nicht verkehrsbedingte Risiken, wie Gesundheitsrisiken (z.B. Bewegungsmangel oder Atemwegserkrankungen durch Luftverschmutzung) oder Risiken auf globaler Ebene (z.B. Umweltbelastung durch Autos). Forschungsergebnisse zeigen, dass mit abnehmender Zeit am Steuer auch das Verletzungsrisiko sinkt. Es ist zu vermuten, dass dadurch auch andere nicht verkehrsbedingte Risiken gesenkt werden. Interventionen im Rahmen des Mobilitätsmanagements sollen das Bewusstsein für Mobilität erhöhen und eine Verschiebung von der privaten Autonutzung auf aktive Mobilität (zu Fuß gehen, Fahrrad oder Skateboard fahren) und öffentliche Verkehrsmittel (Bus, Straßenbahn, Züge) fördern. „Weiche“ Interventionen zum Mobilitätsmanagement umfassen die Anwendung verschiedener Strategien und Vorgehensweisen, um die Nachfrage für Mobilität zu reduzieren. Diese können sowohl lokal als auch weiträumiger veranlasst werden, um eine spezifische oder breite Bevölkerungsgruppe anzusprechen. Als „harte“ Interventionen zum Mobilitätsmanagement hingegen gelten Veränderungen in der bebauten Umwelt oder Verkehrsinfrastruktur, die nicht Thema dieses Reviews sind.

Im Alter zwischen 15 und 19 Jahren beginnt für junge Menschen eine Entwicklungsphase, die auch als „Transition Teens“ bezeichnet wird. In dieser Phase ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie langfristige Veränderungen des Lebensstils vornehmen. Führt man in dieser spezifischen Zeitspanne Interventionen zum Mobilitätsmanagement ein, könnte dies das langfristige Mobilitätsverhalten einer Person beeinflussen.

Zielsetzungen: 

Es wurde untersucht, ob „weiche“ Interventionen zum Mobilitätsmanagement dazu beitragen, Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren davon abzuhalten, mit dem Auto zu fahren, die Häufigkeit des Fahrens zu reduzieren oder es aufzuschieben. Ebenso sollte bewertet werden, ob diese Interventionen die Zahl der Autounfälle durch jugendliche Fahrer verringern können.

Suchstrategie: 

Am 16. August 2019 durchsuchten wir das Cochrane Injuries Group Specialised Register, CENTRAL, MEDLINE, Embase, Web of Science und Social Policy and Practice. Wir durchsuchten klinische Studienregister, relevante Konferenzprotokolle sowie Online-Medienangebote von Verkehrsorganisationen. Außerdem führten wir eine Zitationssuche durch, um relevante Artikel zu finden.

Auswahlkriterien: 

Bei der Suche berücksichtigten wird randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) oder kontrollierte Vorher-Nachher-Studien (CBAs), welche Interventionen zum Mobilitätsmanagement bei Teenagern im Alter von 15 bis 19 Jahren untersuchten. Wir schlossen Informations-, Weiterbildungs- oder Verhaltensinterventionen ein, die darauf abzielten, Menschen dieser Altersgruppe vom Fahren abzuhalten, die Häufigkeit des Fahrens zu reduzieren oder es aufzuschieben. Wir verglichen diese Interventionen mit herkömmlichen Vorgehensweisen oder keinen Interventionen. Wir schlossen Studien aus, in denen Folgendes untersucht wurde: Programme zum Begleiteten Fahren, einzelne Bestandteile des Begleiteten Fahrens oder Interventionen in Verbindung mit oder als Erweiterung des Begleiteten Fahrens. Solche Programme sind darauf ausgelegt, dass alle Teilnehmer letztendlich das Autofahren erlernen. Es ist ihr Ziel, mit Hilfe von betreuten sowie nicht betreuten Lernphasen die Fahrerfahrung und -fertigkeiten der Teilnehmer zu erhöhen. Dabei werden die Teilnehmer nicht dazu angeregt, langfristig weniger zu fahren oder alternative Fortbewegungsmittel zu nutzen. Ebenso schlossen wir Studien aus, die Initiativen in Schulen zum sicheren Fahren untersuchten.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren prüften unabhängig voneinander, welche Studien eingeschlossen werden sollten, extrahierten Daten und bewerteten das Risiko für Bias. Wir nutzten die GRADE-Kriterien, um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu bewerten.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen eine RCT mit 178 Teilnehmern und eine CBA mit 860 Teilnehmern eine. In der RCT wurden Studenten ohne Führerschein mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren in fünf Gruppen eingeteilt. Vier Gruppen erhielten Informationsinterventionen über negative Aspekte des Autofahrens. Die fünfte Gruppe erhielt keine Informationen. Die verschiedenen Materialien enthielten Informationen zur Autonutzung im Bezug auf Kosten, Risiken und/oder Stress.

In der CBA erhielten 860 Schüler im Alter von 17 bis 18 Jahren, die an einem Theoriekurs zum Autofahren teilnahmen, eine zusätzliche, interaktive Unterrichtseinheit zu aktiver Mobilität (zu Fuß gehen oder Fahrradfahren). Einige wurden außerdem zu einer entsprechenden Facebook-Gruppe eingeladen, deren Posts das Bewusstsein und die Gewohnheiten beeinflussen sollten.

Wir konnten keine Meta-Analysen durchführen, weil wir nicht ausreichend Studien hatten.

Wir konnten nicht sagen, ob zusätzliches Informationsmaterial im Vergleich zu keinem Informationsmaterial die Entscheidung der Teilnehmer beeinflusste, 18 Monate nach der Intervention den Führerschein zu machen (Risiko-Verhältnis 0,62, 95 % Konfidenzintervall 0,45 bis 0,85; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben festgestellt, dass aus der Gruppe mit den zusätzlichen Informationen weniger Teilnehmer ihren Führerschein machten (42,6 %) als in der Gruppe ohne Informationen (69 %). Wir bewerteten die Vertrauenswürdigkeit dieser Effektschätzung jedoch als sehr niedrig. Die Studie zeigte ein hohes oder unklares Risiko für Bias. Außerdem stammte die Evidenz nur aus einer kleinen Studie und war daher ungenau.

Wir konnten nicht klar sagen, ob Interventionen zu aktiver Mobilität während eines Theoriekurses zum Autofahren das zukünftige Fahrverhalten beeinflussen können. Anmerkungen der Studien-Autoren:

- Schüler, die eine Unterrichtseinheit zu aktiver Mobilität und eine Einladung zu einer Facebook-Gruppe erhielten, zeigten zwischen dem Zeitpunkt des Führerscheinerwerbs und einer 8-wöchigen Nachbeobachtung eine höhere Bereitschaft für aktive Mobilität als Schüler, die ausschließlich an der Unterrichtseinheit teilnahmen;

- Zwischen der Zeit vor und nach den Interventionen zeigten Schüler, die eine Unterrichtseinheit zu aktiver Mobilität und eine zusätzliche Einladung zu einer Facebook-Gruppe erhielten, eine niedrigere Bereitschaft für aktive Mobilität, als Schüler, die nur eine Unterrichtseinheit erhielten.

Die CBA wies sehr hohe Risiken für Bias auf. Es fehlte eine große Menge an Daten (nur sehr wenige Teilnehmer nahmen die Facebook-Einladung an) und die Daten stammten lediglich aus einer einzigen Studie. Aus diesem Grund bewerteten wir die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als sehr niedrig.

Diese Studien untersuchten weder unseren primären Endpunkt (Fahrhäufigkeit) noch unsere sekundären Endpunkte (Fahrstrecke, Fahrdauer, Nutzung alternativer Verkehrsmittel oder Autounfälle).

Anmerkungen zur Übersetzung: 

Universität Heidelberg, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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