Können Frühgeborene und ihre Eltern von Musik und Gesang profitieren?

Kernaussagen

- Musik- und Gesangsinterventionen senken wahrscheinlich die Herzfrequenz von Frühgeborenen im Vergleich zur Regelversorgung während der Intervention. Dieser positive Effekt war nach der Intervention noch deutlicher und sicherer, was auf eine lang anhaltende entspannende und stabilisierende Wirkung schließen lässt.

- Wir fanden keine schädlichen Auswirkungen von Musik und Gesang. In vielen Studien wurde jedoch die Möglichkeit unerwünschter Wirkungen nicht ausdrücklich untersucht.

- Wir fanden keine Hinweise auf andere eindeutig positive oder schädliche Auswirkungen der Interventionen auf die Kinder, ihre Eltern und die Eltern-Kind-Bindung. Um weitere eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen, ist mehr qualitativ hochwertige Evidenz erforderlich.

Was ist ein Frühgeborenes?

Frühgeborene (vor der 37. Schwangerschaftswoche geborene Säuglinge) müssen oft wochen- bis monatelang in der stressigen Umgebung einer neonatologischen Intensivstation behandelt werden.

Warum sollte man den potenziellen Nutzen von Musik- und Gesangsinterventionen für Frühgeborene und ihre Eltern untersuchen?

Frühgeborene sind für verschiedene gesundheitliche Probleme anfällig. Eine Frühgeburt ist auch für die Eltern ein traumatisches Ereignis. Daher werden in der medizinischen Versorgung und Betreuung von Frühgeborenen zunehmend komplementäre Ansätze wie Musik- und Gesangsinterventionen eingesetzt, um die körperliche und geistige Gesundheit von Frühgeborenen und ihren Eltern zu verbessern. Verschiedene Studien und Übersichtsarbeiten zeigen jedoch uneinheitliche Ergebnisse in Bezug auf die Wirksamkeit einer Vielzahl von Musik- und Gesangsinterventionen. Eine umfassendere und methodisch strengere systematische Übersichtsarbeit ist erforderlich, um widersprüchliche Daten zu klären.

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, ob Musik und Gesang von Nutzen sind für:

- die Gesundheit und Entwicklung des Frühgeborenen,

- die geistige Gesundheit der Eltern und ihre Bindung zum Säugling.

Wir wollten wissen, welche Art, Durchführung, Dauer und Häufigkeit von Musik- und Gesangsinterventionen Säuglinge und Eltern am besten unterstützen würden. Wir wollten auch herausfinden, ob der Eingriff schädliche Nebenwirkungen haben kann.

Wie gingen wir vor?

Wir suchten nach Studien zu folgenden Vergleichen:

- Musik- und Gesangsinterventionen für Frühgeborene (und Eltern) im Vergleich zur Regelversorgung auf der Neugeborenenstation, die keine Musik- oder Gesangsinterventionen beinhaltete.

Wir verglichen und fassten die Ergebnisse zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz, basierend auf Faktoren wie Studienmethoden und Größe der Studien.

Was fanden wir?

Wir fanden 25 Studien, an denen 1532 Frühgeborene und 691 Eltern beteiligt waren. Die größte Studie wurde an 272, die kleinste an 17 Frühgeborenen durchgeführt. In den Studien aus der ganzen Welt wurde vor allem die unmittelbare Wirkung von Musik und Singen während der Intervention und in den Minuten danach untersucht. In zwei Studien wurde untersucht, ob es eine positive Wirkung auf die langfristige Entwicklung nach zwei Jahren gibt. Die meisten Studien wurden von Universitäten/Gesundheitsbehörden/Kliniken und von örtlichen Gesundheitsstiftungen finanziert. Die berichteten Musik- und Gesangsinterventionen unterschieden sich stark in Art, Durchführung, Häufigkeit und Dauer. Es handelte sich hauptsächlich um ruhige, sanfte Klänge im Wiegenliedstil, bei denen häufig die Stimme der Mutter live oder auf Tonband eingesetzt wurde. Die Intervention wurde als Musiktherapie definiert, wenn sie von Musiktherapeut*innen im Rahmen einer therapeutischen Beziehung angeboten wurde, oder als Musikmedizin, wenn sie von medizinischen Fachkräften unter medizinischen Aspekten durchgeführt wurde.

Hauptergebnisse

Bei Frühgeborenen (und ihren Eltern) wurde im Vergleich zu einer Standardbehandlung ohne Musik- und Gesangsinterventionen folgendes festgestellt:

- Musik und Gesang haben keinen Einfluss auf die Sauerstoffsättigung während der Intervention (10 Studien mit 958 Säuglingen) und möglicherweise auch nicht nach der Intervention (7 Studien mit 800 Säuglingen).

- Musik und Gesang beeinflussen möglicherweise nicht die Atemfrequenz während der Intervention (7 Studien mit 750 Säuglingen) und nach der Intervention (5 Studien mit 636 Säuglingen).

- Musik und Gesang beeinflussen die Herzfrequenz von Säuglingen möglicherweise positiv (11 Studien mit 1014 Säuglingen). Dieser positive Effekt war nach der Intervention noch deutlicher und sicherer und führte zu einer mittleren bis deutlichen Verringerung der Herzfrequenz (5 Studien mit 636 Säuglingen).

- Wir sind uns nicht sicher, ob die Intervention Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Frühgeborenen im Alter von zwei Jahren hat (2 Studien mit 69 Säuglingen).

- Wir sind uns auch nicht sicher über die möglichen Auswirkungen der Musiktherapie auf die akute oder generelle Ängstlichkeit der Eltern (4 Studien mit 97 Teilnehmenden) und auf postnatale Depressionen (2 Studien mit 67 Säuglingen).

- Wir sind sehr unsicher, was eine mögliche Wirkung auf die situationsbezogene elterliche Angst angeht (3 Studien mit 87 Eltern).

- Wir haben keine Studien gefunden, in denen über schädliche Auswirkungen von Musik oder Gesang berichtet wurde.

Was schränkt die Evidenz ein?

Wir sind uns sicher, dass Musik und Gesang die Sauerstoffsättigung während der Intervention im Vergleich zur Standardbehandlung nicht verringern. Wir sind uns sicher, dass sich Musik und Gesang positiv auf die Herzfrequenz von Frühgeborenen auswirken. Es gibt nicht genügend methodisch hochwertige Studien (viele kleine Studien mit unzureichender Berichterstattung), um sichere Ergebnisse zu den anderen Zielgrößen, die uns bei den Frühgeborenen und ihren Eltern interessieren, zu liefern. Weitere Unsicherheiten bestehen in Bezug auf die Musikwiedergabe und die Frage, wie lange und wie häufig Musik am besten eingesetzt werden sollte.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?

Die Evidenz ist auf dem Stand vom 12. November 2021.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, T.Brugger, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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