Kann die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen eine Blutarmut (Anämie) vermindern bzw. eine Erhöhung der Eisenwerte in der Allgemeinbevölkerung bewirken?

Warum brauchen wir Eisen in unserer Ernährung?

Eisen ist ein essentieller Mineralstoff und kommt in jeder Zelle des Körpers vor. Es wird zur Bildung von Hämoglobin, dem sauerstofftragenden Proteinkomplex im Blut, benötigt. Die Eisenmoleküle im Hämoglobin binden den Sauerstoff und ermöglichen so den Sauerstofftransport über die Lunge in alle Zellen und Gewebe des Körpers. Ein niedriger Hämoglobinspiegel kann darauf hinweisen, dass der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt ist.

Eine Anämie kann entstehen, wenn der Hämoglobinwert im Blut zu niedrig ist. Zu den Symptomen einer Anämie gehören: Müdigkeit und Antriebslosigkeit, schnelle Atemnot, blasse Haut und eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen.

Niedrige Hämoglobinwerte können verschiede Ursachen haben, wie Blutverlust, Schwangerschaft oder eine unzureichende Ernährung mit einem Mangel an eisenhaltigen Lebensmitteln (Eisenmangelanämie). Eine Eisenmangelanämie kann durch die Einnahme von Eisentabletten oder den Verzehr eisenreicher Lebensmittel behandelt werden.

Angereicherte Lebensmittel

Der Zusatz von Mikronährstoffen (Vitamine und Mineralstoffe) bei Lebensmitteln, unabhängig davon, ob diese Mikronährstoffe ursprünglich in diesen vorhanden waren oder nicht, wird als Anreicherung bezeichnet. Die Anreicherung von Lebensmitteln ist eine Möglichkeit die Ernährungssituation einer Bevölkerung zu verbessern.

Menschen, die in Ländern mit niedrigem Einkommensniveau leben, haben möglicherweise keine ausreichende Eisenversorgung durch ihre Ernährung und sind dem Risiko einer Anämie ausgesetzt. Der Zusatz von Eisen und anderen Nährstoffen bei Lebensmitteln, die gewöhnlich in großen Mengen verzehrt werden, wie z.B. Mehl, soll dabei helfen Eisenmangelanämie zu verhindern.

Warum haben wir diesen Cochrane Review durchgeführt ?

Wir wollten herausfinden, wie sich die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen und anderen Mineralstoffen sowie Vitaminen auf den Eisengehalt im Blut der allgemeinen Bevölkerung auswirkt und ob weniger Menschen eine Anämie oder andere gesundheitliche Probleme entwickeln. Wir wollten zudem wissen, ob die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen zu irgendwelchen unerwünschten Wirkungen führt.

Wie sind wir vorgegangen?

Wir suchten nach Studien, die den Verzehr jeglicher Lebensmittel aus Weizenmehl mit Eisenzusatz oder Lebensmittel, die mit Weizenmehl ohne zugesetztem Eisen untersucht haben. Anschließend haben wir auf Basis der Studien einen Vergleich angestellt, um herauszufinden, welche Wirkung die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen auf die Gesundheit der Menschen und den Eisen- und Hämoglobinspiegel im Blut hat.

Suchdatum: Wir schlossen Evidenz ein, die bis zum 21. Juli 2020 veröffentlicht wurde.

Was haben wir gefunden ?

Wir fanden 10 Studien, welche 3319 Personen im Alter von zwei Jahren und älter eingeschlossen haben. Die Studien dauerten zwischen drei und 24 Monaten und wurden in Bangladesch, Brasilien, Indien, Kuwait, den Philippinen, Sri Lanka und Südafrika durchgeführt.

Die Studien untersuchten folgende Wirkung:

· Mit Eisen angereichertes Weizenmehl (mit oder ohne weiterer Mineralstoffe und Vitamine) im Vergleich zu Weizenmehl ohne Eisenanreicherung (aber mit denselben weiteren Mineralstoffen und Vitaminen);

· Mit Eisen angereichertes Weizenmehl und weiterem Zusatz von Mineralstoffen und Vitaminen im Vergleich zu Weizenmehl ohne zugesetzter Mineralstoffe und Vitamine.

Die in den Studien verwendeten Weizenmehle enthielten unterschiedliche Mengen an Eisen: von unter 40 mg/kg bis über 60 mg/kg.

Wir waren daran interessiert, herauszufinden:

· wie viele Personen von einer Anämie betroffen waren (definiert durch niedrige Hämoglobinwerte);

· wie viele Personen einen niedrigen Eisengehalt in ihrem Blut hatten (Eisenmangel; getestet mit Hilfe eines Biomarkers);

· die Hämoglobin-Konzentration im Blut von Menschen;

· wie viele Kinder an Durchfall oder Atemwegsinfektionen erkrankt waren;

· wie viele Kinder gestorben sind (jegliche Todesursache);

· Anzeichen von Infektionen oder Entzündungen (körpereigene Immunabwehr) bei Kindern (durch Testen eines Biomarkers im Blut); und

· jegliche unerwünschte Wirkungen.

Die meisten Studien hatten mehrere Finanzierungsquellen; einige wurden teilweise von Unternehmen aus der Lebensmittel-, Chemie- oder Pharmaindustrie finanziert.

Welche Ergebnisse lieferte unser Review?

Im Vergleich zu Mehl ohne einer Eisenanreicherung (aber mit weiteren Mineralstoffen und Vitaminen)

Mit Eisen angereichertes Mehl (mit oder ohne weiterer Mineralstoffe und Vitamine):

· könnte Anämie um 27% reduzieren (Evidenz aus fünf Studien, 2315 Personen); und

· führt wahrscheinlich zu keinem Unterschied hinsichtlich des Infektions- oder Entzündungsrisikos bei Kindern (zwei Studien, 558 Kinder).

Es war unklar, wie mit Eisen angereichtes Mehl den Eisenmangel (drei Studien, 748 Personen) oder den Hämoglobinspiegel (acht Studien, 2831 Personen) beeinflusst

Verglichen mit Mehl ohne irgendeinem zugesetzten Mineralstoff oder Vitamin

Mit Eisen angereichtes Mehl (mit weiteren Mineralstoffen und Vitaminen) reduzierte wahrscheinlich Eisenmangel (drei Studien, 382 Personen). Es war unklar laut Studienergebnissen, in welcher Form mit Eisen angereichtes Mehl die Anämie (zwei Studien, 317 Personen) oder den Hämoglobinspiegel (vier Studien, 532 Personen) beeinflusst.

Keine der Studien berichtete über unerwünschte Wirkungen oder über die Anzahl an verstorbenen Kindern, Kindern mit Durchfallerkrankungen oder mit Atemwegsinfektionen.

Das Vertrauen in unsere Ergebnisse

Unser Vertrauen ist moderat bis niedrig, dass die Anreicherung von Mehl mit Eisen wahrscheinlich Eisenmangel und Anämie reduziert. Die Studien schienen eine geringere Anzahl an Menschen mit Eisenmangel und leicht höhere Hämoglobinwerte in Verbindung mit Mehl mit Eisenzusatz zu zeigen. Aber die Ergebnisse variierten stark, sodass wir uns über die Wirkung nicht sicher sind. Diese Ergebnisse könnten sich jedoch ändern, sobald weitere Evidenz verfügbar wird. Wir fanden Limitationen in der Art und Weise, wie einige der Studien konzipiert und durchgeführt wurden. Dies könnte die betroffenen Ergebnisse beeinflusst haben.

Kernaussagen

Die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen könnte dazu führen, dass in der Allgemeinbevölkerung weniger Menschen an Anämie oder niedrigen Eisenwerten im Blut leiden.

Wir wissen nicht, ob die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen irgendwelche unerwünschte Wirkung verursacht, da dies in keiner Studie untersucht wurde.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen (im Vergleich zu nicht angereichertem Mehl oder wenn beide Gruppen dieselben weiteren Mikronährstoffe erhielten) kann Anämie in der Allgemeinbevölkerung im Alter von über zwei Jahren reduzieren. Jedoch ist die Wirkung auf andere Endpunkte unklar.

Mit Eisen angereichertes Weizenmehl in Kombination mit anderen Mikronährstoffen reduziert im Vergleich zu nicht angereichertem Mehl wahrscheinlich den Eisenmangel, aber die Wirkung auf andere Endpunkte ist unklar.

In keiner der eingeschlossenen Studien wurden Daten zu unerwünschten Nebenwirkungen angegeben, mit Ausnahme des Risikos von Infektionen oder Entzündungen auf individueller Ebene. Die Effekte dieser Intervention bezüglich weiterer gesundheitsbezogener Endpunkte ist unklar. Zukünftige Studien mit geringem Risiko für Bias sollten darauf abzielen, alle wichtigen Endpunkte zu erheben. Zudem sollte untersucht werden, welche Varianten der Anreicherung, einschließlich der Bedeutung anderer Mikronährstoffkombinationen sowie der Arten der Eisenanreicherung wirksamer sind und für wen.

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Hintergrund: 

Anämie ist eine Erkrankung, bei dem die Anzahl der roten Blutkörperchen (und damit ihre Sauerstofftransportkapazität) nicht ausreicht, um die physiologischen Anforderungen des Körpers zu erfüllen. Die Anreicherung von Weizenmehl gilt als eine sinnvolle Strategie zur Verringerung der Anämie auf Bevölkerungsebene.

Zielsetzungen: 

Bestimmung des Nutzens und Schadens der Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen allein oder mit anderen Vitaminen und Mineralstoffen auf Anämie, den Eisenstatus und gesundheitsbezogene Endpunkte in der Bevölkerung, bei Menschen ab einem Alter von über zwei Jahre.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten CENTRAL, MEDLINE, Embase, CINAHL, 21 weitere Datenbanken und zwei Studienregister bis zum 21. Juli 2020. Zusätzlich wurden relevante Organisationen kontaktiert, um weitere Studien zu identifizieren.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen cluster- oder auf Individualebene randomisierte kontrollierte Studien (RCT) ein, die in der Allgemeinbevölkerung, ohne Beschränkung auf spezielle Länder durchgeführt wurden. Es wurden Studien mit Teilnehmenden, die älter als zwei Jahre waren, eingeschlossen. Bei den Interventionen handelte es sich um die Anreicherung von Weizenmehl mit Eisen allein oder in Kombination mit anderen Mikronährstoffen. Wir schlossen Studien ein, die alle Arten von Lebensmitteln verglichen, die aus mit Eisen angereichertem Mehl einer beliebigen Weizensorte zubereitet wurden

Datensammlung und ‐analyse: 

Auf Basis der Suchergebnisse sichteten und bewerteten zwei Review-Autoren unabhängig voneinander die Einschlussfähigkeit der Studien, extrahierten Daten und bewerteten das Risiko für Bias der eingeschlossenen Studien. Wir haben uns in diesem Review an den Methoden von Cochrane orientiert.

Hauptergebnisse: 

Unsere Suche ergab 3538 Datensätze, nachdem wir Duplikate entfernt hatten. Wir schlossen 10 Studien mit 3319 Teilnehmenden ein, die in Bangladesch, Brasilien, Indien, Kuwait, auf den Philippinen, Südafrika und in Sri Lanka durchgeführt wurden. Wir identifizierten zwei noch nicht abgeschlossene Studien und eine, bei der die Klassifizierung noch aussteht. Die Interventionsdauer variierte zwischen drei und 24 Monaten. Eine Studie wurde bei erwachsenen Frauen und eine Studie bei Kindern als auch bei nicht schwangeren Frauen durchgeführt. Die meisten der eingeschlossenen Studien wurden mit einem niedrigen oder unklaren Risiko für Bias für wichtige Bereiche der Auswahl, mögliche Unterschiede in der Durchführung oder der Berichterstattung bewertet.

In drei Studien wurden 41 bis 60 mg Eisen/kg Mehl zugesetzt, bei drei Studien waren es weniger als 40 mg Eisen/kg Mehl und in weiteren drei Studien mehr als 60 mg Eisen/kg Mehl. In einer Studie wurde je nach Art des zugesetzten Eisens verschiedene Eisenmengen verwendet: 80 mg pro kg für elektrolytisches und reduziertes Eisen sowie 40 mg pro kg für Eisenfumarat.

Von allen eingeschlossenen Studien flossen Daten in die Metaanalysen mit ein.

Mit Eisen angereichertes Weizenmehl mit oder ohne Zusatz weiterer Mikronährstoffe im Vergleich zu Weizenmehl (ohne Zusatz von Eisen) mit Zusatz derselben weiteren Mikronährstoffe

Mit Eisen angereichertes Weizenmehl mit oder ohne Zusatz weiterer Mikronährstoffe im Vergleich zu Weizenmehl (ohne Anreicherung mit Eisen) mit demselben Zusatz weiterer Mikronährstoffe kann das Risiko für Anämie in der Bevölkerung um 27% reduzieren (Relatives Risiko (RR) 0,73, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,55 bis 0,97; 5 Studien, 2315 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).

Es ist unsicher, ob eisenangereichertes Weizenmehl mit oder ohne weiterer Mikronährstoffe Eisenmangel reduziert (RR 0,46, 95% KI 0,20 bis 1,04; 3 Studien, 748 Teilnehmende; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) oder die Hämoglobinkonzentration (in g/L) erhöht (Mittelwertdifferenz (MD) 2,75, 95% KI 0,71 bis 4,80; 8 Studien, 2831 Teilnehmende; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).

Keine Studie berichtete Daten zu unerwünschten Wirkungen bei Kindern (einschließlich Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen oder Durchfall), mit Ausnahmen bezüglich der individuellen Ebene im Hinblick auf das Risiko für eine Infektion oder Entzündung. Die Intervention macht wahrscheinlich einen geringen oder keinen Unterschied hinsichtlich des Risikos einer Infektion oder Entzündung auf individueller Ebene aus, gemessen anhand des C-reaktiven Proteins (CRP) (MD 0,04, 95% KI -0.02 bis 0,11; 2 Studien, 558 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).

Mit Eisen in Kombination mit weiteren Mikronährstoffen angereichertes Weizenmehl im Vergleich zu nicht angereichertem Weizenmehl (ohne Zusatz von Mikronährstoffen)

Es ist unklar, ob mit Eisen angereichertes Weizenmehl in Kombination mit weiteren Mikronährstoffen Anämie vermindert (RR 0,77, 95% KI 0,41 bis 1,46; 2 Studien, 317 Teilnehmende; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Die Intervention reduziert wahrscheinlich das Risiko eines Eisenmangels (RR 0,73, 95% KI 0,54 bis 0,99; 3 Studien, 382 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) und es ist unklar, ob sie die durchschnittliche Hämoglobinkonzentration erhöht (MD 2,53, 95% KI -0,39 bis 5,45; 4 Studien, 532 Teilnehmende; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz).

Keine der Studien berichtete Daten hinsichtlich unerwünschter Wirkungen bei Kindern.

Neun von zehn Studien gaben ihre Finanzierungsquellen an, wobei die meisten mehrere Quellen aufwiesen. Die Finanzierungsquelle scheint die Ergebnisse in keiner der bewerteten Studien verzerrt zu haben.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

T. Heise, A. Borchard, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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