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Welchen Nutzen und welche Risiken hat Tocilizumab (ein entzündungshemmendes Medikament) zur Behandlung der Riesenzellarteriitis (einer Erkrankung der Blutgefäße)?

Kernaussagen
- Menschen mit Riesenzellarteriitis, die alle ein bis zwei Wochen eine Injektion von Tocilizumab erhalten, haben eine bessere Chance, nach einem Jahr symptomfrei zu sein. Menschen, die alle vier Wochen mit Tocilizumab behandelt werden, haben wahrscheinlich eine bessere Chance, nach einem Jahr symptomfrei zu sein.

- Tocilizumab verursacht wahrscheinlich ähnlich viele unerwünschte Wirkungen wie ein Placebo (Scheinbehandlung).

- Es sind weitere Studien erforderlich, um die Evidenz zu stärken und zu untersuchen, ob die Behandlungsdauer Einfluss auf den Erfolg von Tocilizumab hat.

Was ist eine Riesenzellarteriitis?
Die Riesenzellarteriitis (GCA) ist eine Entzündung und Verengung der Gefäße, die das Blut vom Herzen zum Rest des Körpers transportieren (Arterien). Sie betrifft in der Regel Menschen über 50 Jahre und kann zu folgenden Symptomen führen:

- Sehstörungen (z. B. Doppeltsehen oder Sehverlust auf einem oder beiden Augen);

- Kiefer- und Kauschmerzen beim Essen oder Sprechen;

- Schmerzen und Druckempfindlichkeit an den Schläfen (Seiten des Kopfes);

- häufige und starke Kopfschmerzen; und

- Gewichtsverlust.

Unbehandelt kann die GCA zu einem dauerhaften Verlust des Sehvermögens oder zu einem Schlaganfall führen.

Wie wird die GCA behandelt?
GCA wird in der Regel mit entzündungshemmenden Medikamenten, den so genannten Glucocorticoiden, behandelt. In der Regel müssen Glucocorticoide mehrere Jahre lang eingenommen werden, was zu unerwünschten Wirkungen wie Diabetes, Osteoporose (Knochenschwund), erhöhtem Blutdruck und Infektionen führen kann.

Eine mögliche Behandlungsalternative ist das injizierbare Medikament Tocilizumab, das darauf abzielt, eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems zu unterdrücken, bei der gesundes Gewebe angegriffen und dadurch eine Entzündung ausgelöst wird.

Was wollten wir herausfinden?
Wir wollten den Nutzen und die Risiken von Tocilizumab mit denen anderer Behandlungen der GCA vergleichen.

Wie gingen wir vor?
Wir haben nach Studien gesucht, die Tocilizumab mit anderen Behandlungen der GCA verglichen haben. Wir haben die Ergebnisse dieser Studien zusammengefasst und unser Vertrauen in die Evidenz auf der Grundlage von Faktoren wie Studienmethoden und Größe der Studien bewertet.

Was fanden wir?
Wir fanden zwei Studien, die in den USA, Kanada und Europa durchgeführt wurden und an denen insgesamt 281 Menschen mit GCA teilnahmen. Alle Studienteilnehmende waren über 50 Jahre alt (Durchschnittsalter: 70), und 74 % waren Frauen. Tocilizumab wurde in einer Studie (30 Personen) alle vier Wochen und in der anderen Studie (251 Personen) jede Woche oder alle zwei Wochen verabreicht. Beide Studien dauerten ein Jahr und verglichen Tocilizumab mit einem Placebo. Beide Studien wurden durch den Hersteller von Tocilizumab finanziert.

Tocilizumab alle vier Wochen verabreicht im Vergleich zu Placebo

Die Evidenz deutet darauf hin, dass Tocilizumab, das alle vier Wochen verabreicht wird, im Vergleich zu Placebo nach einem Jahr der Behandlung wahrscheinlich:

- die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung der GCA (Symptomfreiheit) erhöht;

- das Wiederauftreten von Symptomen / die Rückkehr der GCA verzögert;

- die Notwendigkeit, Glukokortikoide zur Behandlung der GCA einzusetzen, reduziert

Tocilizumab alle ein oder zwei Wochen für ein Jahr im Vergleich zu Placebo

Tocilizumab entweder jede Woche oder alle zwei Wochen verabreicht:

- verbessert die Aussichten auf eine erfolgreiche Behandlung der GCA;

- erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass keine Escape-Therapie erforderlich ist;

- verbessert wahrscheinlich die körperliche und psychische Lebensqualität (Wohlbefinden); aber

- hat wahrscheinlich nur einen geringen oder gar keinen Einfluss auf die Veränderung der Sehkraft.

Unerwünschte Wirkungen

Die häufigste unerwünschte Wirkung, die bei den Studienteilnehmenden auftrat, war eine Infektion. Die Evidenz deutet darauf hin, dass Tocilizumab im Vergleich zu Placebo wahrscheinlich die Zahl der schweren unerwünschten Wirkungen verringert.

Was schränkt die Evidenz ein?
Die Evidenz stützt sich nur auf zwei Studien, was unser Vertrauen in die Ergebnisse einschränkt.

Wie aktuell ist die Evidenz?
Die Evidenz ist auf dem Stand von Januar 2020.

Hintergrund

Die Riesenzellarteriitis (GCA) ist die häufigste Form der systemischen Vaskulitis bei Menschen, die älter als 50 Jahre alt sind. Sie verursacht eine granulomatöse Entzündung von mittelgroßen bis großen Gefäßen. Tocilizumab ist ein rekombinanter monoklonaler Antikörper, der gegen Interleukin-6-Rezeptoren (IL-6R) gerichtet ist.

Zielsetzungen

Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit von Tocilizumab, allein oder zusammen mit Glukokortikoiden verabreicht, im Vergleich zu einer Therapie ohne Tocilizumab zur Behandlung der GCA.

Suchstrategie

Durchsucht wurden das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) (das auch das Cochrane Eyes and Vision Trials Register enthält) (2020, Ausgabe 1); Ovid MEDLINE; Embase.com; PubMed; Latin American and Caribbean Health Science Information database (LILACS); ClinicalTrials.gov; und die International Clinical Trials Registry Platform (ICTRP) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bei der elektronischen Suche nach Studien gab es keine Einschränkungen hinsichtlich Datum oder Sprache. Die elektronischen Datenbanken wurden zuletzt am 3. Januar 2020 durchsucht.

Auswahlkriterien

Es wurden nur randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ein, die Tocilizumab in beliebiger Dosierung (allein oder mit Glukokortikoiden) mit einer Therapie ohne Tocilizumab verglichen und eine Nachbeobachtung von mindestens sechs Monaten hatten. Die Teilnehmenden waren mindestens 50 Jahre alt, hatten eine durch Biopsie nachgewiesene GCA oder eine durch Angiographie nachgewiesene Großgefäßvaskulitis und erfüllten die Kriterien des American College of Rheumatology von 1990 für GCA.

Datensammlung und ‐analyse

Es wurden die Standardmethoden von Cochrane verwendet.

Hauptergebnisse

Hauptergebnisse

Es wurden zwei RCTs in die Übersichtsarbeit eingeschlossen. Die Studien wurden in den USA, Kanada und Europa durchgeführt und umfassten insgesamt 281 Teilnehmende mit GCA, von denen 74 % Frauen waren. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 70 Jahren, sie wiesen eine neu aufgetretene oder rezidivierende GCA auf und erfüllten die Kriterien des American College of Rheumatology von 1990 ohne unkontrollierte Begleiterkrankungen. Beide Studien wurden von der F. Hoffmann-La Roche AG, dem Hersteller von Tocilizumab, finanziert.

Ergebnisse

Eine RCT (30 Teilnehmende) verglich Tocilizumab, alle vier Wochen verabreicht, mit Placebo. Die Punktschätzungen nach 12 Monaten und darüber hinaus sprachen für Tocilizumab gegenüber Placebo in Bezug auf eine anhaltende Remission (Risikoverhältnis (RR) 4,25, 95 % Konfidenzintervall (CI) 1,21 bis 14,88; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Die Punktschätzungen deuten darauf hin, dass es keine Hinweise auf einen Unterschied bei der Gesamtmortalität nach 12 Monaten oder mehr gibt (RR 0,17, 95% CI 0,01 bis 3,94; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Nach 12 Monaten betrug die durchschnittliche Zeit bis zum ersten Rückfall nach Einleitung der Remission 25 Wochen zugunsten der Teilnehmenden, die Tocilizumab erhielten, im Vergleich zu Placebo (mittlerer Unterschied (MD) 25, 95% CI 11,4 bis 38,6; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit).

Bei der zweiten RCT (250 Teilnehmende) erhielten die Teilnehmenden im Verhältnis 2:1:1:1 subkutanes Tocilizumab (in einer Dosis von 162 mg) entweder wöchentlich oder jede zweite Woche, jeweils kombiniert mit einer 26-wöchigen Prednison-Ausschleichtherapie, oder ein Placebo kombiniert mit einer Prednison-Ausschleichtherapie über einen Zeitraum von entweder 26 oder 52 Wochen. Nach 12 Monaten zeigten die Punktschätzungen dieser Studie hinsichtlich des Anteils der Teilnehmenden mit anhaltender Remission einen Vorteil für diejenigen, die wöchentlich Tocilizumab im Vergleich zu Placebo + 52-Wochen-Taper erhielten (RR 3,17, 95% CI 1,71 bis 5,89; 151 Teilnehmer); Tocilizumab wöchentlich im Vergleich zu Placebo + 26-Wochen-Taper (RR 4.00, 95% CI 1,97 bis 8,12; 150 Teilnehmende); Tocilizumab jede zweite Woche versus Placebo + 52-Wochen-Taper (RR 3,01, 95% CI 1,57 bis 5,75; 100 Teilnehmende); Tocilizumab jede zweite Woche versus Placebo + 26-Wochen-Taper (RR 3,79, 95% CI 1,82 bis 7,91; 99 Teilnehmende) (Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Die Punktschätzungen für den Anteil der Teilnehmenden, die keine Escape-Therapie benötigten (in der Studie definiert als die Unfähigkeit, den im Protokoll festgelegten Prednison-Taper einzuhalten), zeigten einen Vorteil zugunsten der Teilnehmenden, die Tocilizumab wöchentlich im Vergleich zu Placebo + 52-Wochen-Taper erhielten (RR 1,71, 95% CI 1,24 bis 2,35; 151 Teilnehmer); Tocilizumab wöchentlich im Vergleich zu Placebo + 26-Wochen-Taper (RR 2.96, 95% CI 1,83 bis 4,78; 150 Teilnehmende); Tocilizumab jede zweite Woche gegenüber Placebo + 52-Wochen-Taper (RR 1,49, 95% CI 1,04 bis 2,14; 100 Teilnehmende), aber nicht Tocilizumab jede zweite Woche gegenüber Placebo + 26-Wochen-Taper (RR 0,65, 95% CI 0,27 bis 1,54; 99 Teilnehmende) (Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). n dieser Studie wurde nicht die durchschnittliche Zeit bis zum ersten Rückfall nach Einleitung der Remission oder die Gesamtmortalität erfasst. 

Bei den Vergleichsgruppen fand dieselbe Studie keine Evidenz für einen Unterschied bei den Sehstörungen und uneinheitliche Evidenz in Bezug auf die Lebensqualität. Die Evidenz bezüglich Lebensqualität, die anhand der körperlichen (MD 8,17, 95 % CI 4,44 bis 11,90) und psychischen (MD 5,61, 95 % CI 0,06 bis 11,16) Komponenten des 36-Item Short Form Health Survey (SF-36) bewertet wurde, sprach für wöchentliches Tocilizumab gegenüber Placebo + 52-wöchiger Taper, aber nicht für zweiwöchentliches Tocilizumab gegenüber Placebo + 26-wöchigem Taper (Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit).

Unerwünschte Ereignisse

Die RCT mit Tocilizumab alle 4 Wochen berichtete einen geringeren Prozentsatz von Teilnehmenden mit schwerwiegenden unerwünschten im Vergleich zu Placebo. Die zweite RCT lieferte keine Evidenz für einen Unterschied zwischen den Gruppen in Bezug auf unerwünschte Ereignisse; allerdings berichteten weniger Teilnehmende von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen unter wöchentlichem und zweiwöchentlichem Tocilizumab im Vergleich zu den Vergleichstherapien Placebo + 26-wöchiger und Placebo + 52-wöchiger Prednison-Taper. In beiden Studien waren Infektionen die am häufigsten gemeldeten unerwünschten Ereignisse.

Schlussfolgerungen der Autoren

Diese Übersichtsarbeit deutet auf einen Vorteil der mit Tocilizumab Behandelten in Bezug auf anhaltende Remission, rückfallfreies Überleben und den Bedarf von Escape-Therapien hin. Wenngleich eine moderate Vertrauenswürdigkeit in Bezug auf die Datenlage festgestellt wurde, wurden lediglich zwei Studien in die Analyse eingeschlossen, was darauf hinweist, dass weitere Forschung notwendig ist, um diese Ergebnisse zu bestätigen. Zukünftige Studien sollten Fragen zur notwendigen Therapiedauer, zu patientenberichteten Endpunkten wie Lebensqualität und gesundheitsökonomischen Aspekten sowie zu den in dieser Übersicht bewerteten klinischen Endpunkten gezielt untersuchen.

Anmerkungen zur Übersetzung

B. Schindler, J. Becker, freigegeben durch Cochrane Deutschland

Zitierung
Antonio AA, SantosRN, AbarigaSA.Tocilizumab for giant cell arteritis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 5. Art. No.: CD013484. DOI: 10.1002/14651858.CD013484.pub3.

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