Kernaussagen
• Tranexamsäure verringert möglicherweise im Vergleich zu Placebo (oder keinem Medikament) Bluttransfusionen, chirurgische Komplikationen und die Dauer des Krankenhausaufenthalts nach einer perkutanen Nephrolithotomie.
• Tranexamsäure verbessert möglicherweise im Vergleich zu einer Behandlung mit einem Placebo (oder keinem Medikament) die Entfernung von Steinmaterial nach einer perkutanen Nephrolithotomie, erhöht aber möglicherweise auch das Risiko für unerwünschte Wirkungen.
• Es ist nicht bekannt, ob Tranexamsäure das Risiko, dass sich nach einer perkutanen Nephrolithotomie Blutgerinnsel in anderen Körperteilen bilden, beeinflusst.
Was ist perkutane Nephrolithotomie?
Perkutane Nephrolithotomie ist eine Behandlungsmethode für größere Nierensteine. Dabei wird über einen Hautschnitt ein spezielles Endoskop in die Niere eingeführt. Die Nierensteine können dann mit speziellen Instrumenten (z. B. einem Laser) zertrümmert werden. Um das Blut zu entfernen und dem Urologen so eine bessere Sicht zu ermöglichen, wird Spülflüssigkeit verwendet. Obwohl eine perkutane Nephrolithotomie gut geeignet ist, um Nierensteine zu entfernen, kann sie Komplikationen wie Blutungen verursachen, die eine Bluttransfusionen erforderlich machen können.
Was ist Tranexamsäure?
Tranexamsäure ist ein Medikament, das Blutungen reduzieren und damit die Notwendigkeit von Transfusionen verringern kann. Das Medikament wird bei der Behandlung von Gerinnungsstörungen sowie bei Knochen-, Gelenk- und Herzoperationen eingesetzt, um Blutungen zu verringern. Bei einer perkutanen Nephrolithotomie könnte die Verwendung von Tranexamsäure vorteilhaft sein.
Was wollten wir herausfinden?
Wir wollten herausfinden, ob die Anwendung von Tranexamsäure besser (oder schlechter) ist als die Nichtanwendung von Tranexamsäure. Die für uns wichtigsten Endpunkte waren die Notwendigkeit von Bluttransfusionen, die vollständige Entfernung der Steine und das Risiko von Blutgerinnseln in anderen Körperteilen. Wir haben zudem folgende Aspekte untersucht: unerwünschte Wirkungen des Medikaments, die Notwendigkeit weiterer Eingriffe zur Entfernung von Nierensteinen, schwerwiegende und leichte chirurgische Komplikationen, ungeplante Wiedereinweisungen ins Krankenhaus und die Dauer des Krankenhausaufenthalts.
Wie gingen wir vor?
Wir suchten nach allen Studien, in denen bei den Teilnehmenden eine perkutane Nephrolithotomie wegen großer Steine durchgeführt wurde und in denen zufällig bestimmt wurde, ob die Teilnehmenden Tranexamsäure erhielten oder nicht. Wir fassten die Ergebnisse der Studien zusammen, verglichen sie und bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz basierend auf Faktoren wie der Studienmethodik und Studiengröße.
Was fanden wir?
Bei unserer Recherche fanden wir 10 Studien, in denen Tranexamsäure als Infusion über eine Vene verabreicht wurde, und eine Studie, in der Tranexamsäure der Spülflüssigkeit zugesetzt wurde. Auf Grundlage dieser Studien kann angenommen werden, dass Tranexamsäure die Notwendigkeit von Bluttransfusionen reduziert und die Nierensteinentfernung verbessert. Es ist jedoch nicht sicher, ob Tranexamsäure, wenn sie über eine Vene oder während der perkutanen Nephrolithotomie als Teil der Spülflüssigkeit verabreicht wird, die Bildung von Blutgerinnseln in anderen Körperteilen beeinflusst.
Was schränkt die Aussagekraft der Evidenz ein?
Wir haben wenig Vertrauen in einen Großteil der Evidenz, für einige Ergebnisse ist die Evidenz allerdings vertrauenswürdig. Zu den Gründen für unser geringes Vertrauen gehören Bedenken, ob alle Teilnehmenden auf die gleiche Weise behandelt und beurteilt wurden. Außerdem waren die Ergebnisse der berücksichtigten Studien in einigen Fällen sehr unterschiedlich, die Studien waren klein und es gab insgesamt nicht ausreichend Studien, um gesicherte Aussagen über die Wirkung treffen zu können.
Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?
Die Evidenz ist auf dem Stand vom 11. Mai 2023.
Read the full abstract
Die perkutane Nephrolithotomie (PCNL) ist der Goldstandard für die Behandlung von großen Nierensteinen, birgt aber im Vergleich zu anderen Verfahren wie der Ureteroskopie und der Stoßwellenlithotripsie ein erhöhtes Blutungsrisiko. Tranexamsäure (TXA) ist ein Antifibrinolytikum, das bereits in anderen Bereichen zur Verringerung von Blutungskomplikationen eingesetzt wurde.
Zielsetzungen
Bewertung der Wirkungen von TXA bei Personen mit Nierensteinen, die sich einer PCNL unterziehen.
Suchstrategie
Wir haben eine umfassende Literaturrecherche in der Cochrane Library, PubMed (einschließlich MEDLINE), Embase, Scopus, Global Index Medicus, Studienregistern, anderen Quellen der grauen Literatur und Konferenzberichten durchgeführt. Wir haben keine Einschränkungen hinsichtlich der Sprache der Veröffentlichung oder des Veröffentlichungsstatus vorgenommen. Das letzte Suchdatum war der 11. Mai 2023.
Auswahlkriterien
Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ein, die die Behandlung mit PCNL mit der Verabreichung von TXA mit Placebo (oder ohne TXA) bei Patient*innen im Alter von ≥ 18 Jahren verglichen.
Datensammlung und ‐analyse
Zwei Review-Autor*innen klassifizierten unabhängig voneinander die Studien und extrahierten Daten. Primäre Endpunkte waren: Bluttransfusion, Steinfreiheitsrate (SFR) und thromboembolische Ereignisse (TEEs). Sekundäre Endpunkte waren: unerwünschte Ereignisse (AEs), Sekundäreingriffe, schwerwiegende chirurgische Komplikationen, geringfügige chirurgische Komplikationen, ungeplante Krankenhausaufenthalte oder Wiederaufnahmen und die Dauer des Krankenhausaufenthalts (LOS). Die statistischen Analysen wurden mit dem Random-Effects-Modell durchgeführt. Wir bewerteten die Sicherheit der Evidenz gemäß dem GRADE-Ansatz unter Verwendung eines minimal kontextualisierten Ansatzes mit vordefinierten Schwellenwerten für minimal klinisch relevante Unterschiede (MCID).
Hauptergebnisse
Wir analysierten 10 RCTs, die die Wirkungen von systemischem TXA bei PCNL im Vergleich zu Placebo (oder keiner TXA) mit 1883 randomisierten Teilnehmenden untersuchten. Acht Studien wurden als Volltext veröffentlicht. Eine davon wurde in einem Konferenzband mit Kurzfassungen veröffentlicht. Für unsere Analysen wurde sie in zwei separate Studien aufgeteilt. Die durchschnittliche Steinoberfläche lag zwischen 3,45 und 6,62 cm2 . Wir fanden auch eine einzige im Volltext veröffentlichte RCT, die die Wirkungen von topischer TXA bei PCNL im Vergleich zu Placebo (oder keiner TXA) mit 400 randomisierten Teilnehmenden untersuchte, deren Ergebnisse in der Übersicht weiter beschrieben werden. Wir konzentrieren uns hier nur auf die Ergebnisse der systemischen Anwendung von TXA.
Bluttransfusionen - Auf der Grundlage eines repräsentativen Ausgangsrisikos von 5,7 % für Bluttransfusionen, das einer großen repräsentativen Beobachtungsstudie entnommen wurde, kann systemische TXA Bluttransfusionen reduzieren (Risikoverhältnis (RR) 0,45, 95 % Konfidenzintervall (KI) 0,27 bis 0,76; I2 = 28 %; 9 Studien, 1353 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 2 % angenommen. Ausgehend von 57 Teilnehmenden pro 1000, denen Placebo (oder kein TXA) transfundiert wurde, entspricht dies einem Rückgang von 31 (von 42 auf 14) Teilnehmenden pro 1000, die transfundiert wurden.
Steinfreiheitsrate - Ausgehend von einem repräsentativen Ausgangsrisiko von 75,7 % für SFR kann systemische TXA die SFR erhöhen (RR 1,11, 95 % CI 0,98 bis 1,27; I2 = 62 %; 4 Studien, 603 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 5% angenommen. Ausgehend von 757 Teilnehmenden pro 1000, die mit Placebo (oder ohne TXA) steinfrei waren, entspricht dies 83 mehr (von 15 weniger bis 204 mehr) steinfreien Teilnehmenden pro 1000.
Thromboembolische Ereignisse - Es gibt wahrscheinlich keinen Unterschied bei TEEs (Risikodifferenz (RD) 0,00, 95% CI -0,01 bis 0,01; I2 = 0%; 6 Studien, 841 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 2 % angenommen. Da in 5 von 6 Studien keine thromboembolischen Ereignisse in der Interventions- und/oder Kontrollgruppe auftraten, entschieden wir uns, für diesen Endpunkt einen Risikounterschied mit systemischer TXA zu ermitteln.
Unerwünschte Ereignisse - Systemische TXA kann zu mehr unerwünschten Ereignissen führen (RR 5,22, 95% CI 0,52 bis 52,72; I2 = 75%; 4 Studien, 602 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 5% angenommen. Ausgehend von 23 Teilnehmenden pro 1000 mit Placebo (oder ohne TXA), die ein unerwünschtes Ereignis hatten, entspricht dies 98 mehr (von 11 weniger bis 1000 mehr) Teilnehmenden mit unerwünschten Ereignissen pro 1000.
Sekundärinterventionen - Systemische TXA hat möglicherweise geringe bis keine Wirkungen auf Sekundärinterventionen (RR 1,15, 95% CI 0,84 bis 1,57; I2 = 0%; 2 Studien, 319 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 5% angenommen. Ausgehend von 278 Teilnehmenden pro 1000 mit Placebo (oder ohne TXA), die eine sekundäre Intervention erhielten, entspricht dies 42 mehr (von 44 weniger bis 158 mehr) Teilnehmenden mit sekundären Interventionen pro 1000.
Schwerwiegende chirurgische Komplikationen - Ausgehend von einem repräsentativen Ausgangsrisiko für schwerwiegende chirurgische Komplikationen von 4,1 % verringert systemische TXA wahrscheinlich schwerwiegende chirurgische Komplikationen (RR 0,36, 95 % CI 0,21 bis 0,62; I2 = 0 %; 5 Studien, 733 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 2 % angenommen. Ausgehend von 41 Teilnehmenden pro 1000 mit Placebo (oder ohne TXA), die eine schwerwiegende chirurgische Komplikation hatten, entspricht dies 26 weniger (von 32 weniger bis 16 weniger) Teilnehmenden mit schwerwiegenden chirurgischen Komplikationen pro 1000.
Geringfügige chirurgische Komplikationen - Systemische TXA kann geringfügige chirurgische Komplikationen reduzieren (RR 0,71, 95% CI 0,45 bis 1,10; I2 = 76%; 5 Studien, 733 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 5% angenommen. Ausgehend von 396 Teilnehmenden pro 1000 mit Placebo (oder ohne TXA), die eine geringfügige chirurgische Komplikation hatten, entspricht dies 115 weniger (von 218 weniger bis 40 mehr) Teilnehmenden mit geringfügigen chirurgischen Komplikationen pro 1000.
Ungeplante Krankenhausaufenthalte oder Wiedereinweisungen - Wir sind sehr unsicher, wie ungeplante Krankenhausaufenthalte oder Wiedereinweisungen beeinflusst werden (RR 1,55, 95% CI 0,45 bis 5,31; I2 = nicht anwendbar; 1 Studie, 189 Teilnehmende; sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir haben einen MCID von ≥ 2 % angenommen.
Krankenhausverweildauer - Systemische TXA reduziert möglicherweise die Krankenhausverweildauer (mittlere Differenz 0,52 Tage kürzer, 95% CI 0,93 niedriger bis 0,11 niedriger; I2 = 98%; 7 Studien, 1151 Teilnehmende; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir gingen von einem MCID von ≥ 0,5 Tagen aus.
Schlussfolgerungen der Autoren
Auf der Grundlage von 10 RCTs mit erheblichen methodischen Einschränkungen mit eingeschränkter Vertrauenswürdigkeit fanden wir, dass systemische TXA bei PCNL möglicherweise Bluttransfusionen, größere und kleinere chirurgische Komplikationen und die Krankenhausaufenthaltsdauer reduziert sowie die SFR verbessert. Möglicherweise kommt es aber zu mehr unerwünschten Wirkungen. Über die Wirkungen von systemischer TXA auf andere Endpunkte sind wir uns nicht sicher. Die Ergebnisse dieses Reviews sollen Urolog*innen und ihren Patient*innen als Grundlage für fundierte Entscheidungen über den Einsatz von TXA im Rahmen einer PCNL dienen.
Universität Heidelberg, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland