Akupunktur zur Behandlung der überaktiven Blase bei Erwachsenen

Fragestellung des Reviews

Ist Akupunktur eine sichere und wirksame Behandlung für die überaktive Blase bei Erwachsenen?

Hintergrund

Als überaktive Blase werden Beschwerden beim Wasserlassen bezeichnet, zu denen dringender Harndrang, häufiges Entleeren, Harninkontinenz und nächtliches Aufwachen aufgrund von Harndrang (Nykturie) gehören. Die Betroffenen können eines oder mehrere dieser Symptome aufweisen. Eine überaktive Blase ist weit verbreitet und kann sowohl Männer als auch Frauen jeden Alters betreffen; sie tritt aber bei älteren Menschen häufiger auftritt. Die Behandlung kann Blasentraining, Beckenbodentraining, Medikamente, Botox-Injektionen in die Blasenwand, sakrale Neuromodulation und eine Operation umfassen.

Unter Akupunktur versteht man das Einstechen feiner Nadeln in bestimmte Punkte des Körpers, um gesundheitliche Verbesserungen zu erreichen. Sie wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt und wurde als mögliche Behandlung von Symptomen einer überaktiven Blase vorgeschlagen.

Wie aktuell ist dieser Review?

Dieser Review umfasst alle Studien, die unsere Einschlusskriterien erfüllen und bis zum 14. Mai 2022 veröffentlicht wurden. Uns sind sechs laufende Studien und zwei nicht vollständig zugängliche Studien bekannt, die wir nicht in unsere Überprüfung einbeziehen konnten.

Studienmerkmale

Wir schlossen 15 Studien mit insgesamt 1.395 Teilnehmenden mit überaktiver Blase ein. Die Mehrzahl der Studien hatte eine geringe Teilnehmerzahl und wir hatten bei den meisten Studien einige Vorbehalte hinsichtlich des Studiendesigns oder der Studiendurchführung oder beidem.

Finanzierung der Studien

Von den 15 eingeschlossenen Studien wurden vier durch Forschungsstipendien der chinesischen Regierung unterstützt und zwei von Hochschuleinrichtungen finanziert. Die Open-Access-Veröffentlichungsgebühr für eine Studie wurde von der Norwegischen Akupunkturvereinigung bezahlt. Acht Studien machten keine Angaben zur Finanzierung.

Hauptergebnisse

Die unterschiedlichen Methoden, die in den Studien verwendet wurden, erschwerten den Vergleich der Ergebnisse.

Im Vergleich zu keiner Behandlung ist die Wirkung der Akupunktur in Bezug auf Heilung oder Besserung der Symptome der überaktiven Blase und das Ausmaß leichter unerwünschter Wirkungen sehr unsicher. Es traten keine größeren unerwünschten Ereignisse auf. Es gab keine Berichte über die Wirkung der Akupunktur im Vergleich zu keiner Behandlung in Bezug auf die Verringerung des Harndrangs, der Häufigkeit des Wasserlassens am Tag, der Episoden von Harninkontinenz oder der Episoden von Nykturie.

Im Vergleich zu Scheinakupunktur ist die Wirkung der Akupunktur auf Heilung oder Verbesserung der Symptome der überaktiven Blase ungewiss. Wahrscheinlich macht die Akupunktur im Vergleich zur Scheinakupunktur nur einen geringen oder gar keinen Unterschied bei der Zahl leichter unerwünschter Ereignisse. In keiner der Studien traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf. Die Evidenz für die Wirkung der Akupunktur auf das Auftreten von Harndrang, die Häufigkeit des Wasserlassens am Tag oder nächtliche Nykturie-Episoden ist sehr unsicher. Es gibt wahrscheinlich keinen Unterschied zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur in Bezug auf Episoden von Harninkontinenz.

Die Akupunktur kann möglicherweise im Vergleich zur medikamentösen Behandlung eine leichte Verbesserung der Symptome der überaktiven Blase bewirken und verursacht möglicherweise weniger leichte unerwünschte Ereignisse. Es traten keine größeren unerwünschten Ereignisse auf. Die Wirkung der Akupunktur im Vergleich zu Medikamenten ist im Hinblick auf Harndrang und Inkontinenz-Episoden sehr unsicher. Die Akupunktur hat möglicherweise die gleiche Wirkung wie Medikamente auf die Häufigkeit des Wasserlassens und verringert möglicherweise Nykturie-Episoden leicht.

Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Die Mehrzahl der in dieser Übersicht enthaltenen Evidenz ist von sehr geringer oder geringer Vertrauenswürdigkeit, da die eingeschlossenen Studien Mängel in ihrer Konzeption und/oder Durchführung aufwiesen. Viele hatten eine geringe Teilnehmerzahl und wurden über einen kurzen Zeitraum durchgeführt. Angesichts dieser Probleme ist es schwierig, Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der Akupunktur bei der Behandlung der überaktiven Blase zu ziehen. Um diese Frage zu beantworten, sind weitere gut konzipierte, groß angelegte Studien erforderlich.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Die Evidenz hinsichtlich der Wirkung der Akupunktur auf die Heilung oder Verbesserung der Symptome der überaktiven Blase im Vergleich zu keiner Behandlung ist sehr unsicher. Es ist ungewiss, ob es einen Unterschied zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur bei der Heilung oder Verbesserung der Symptome der überaktiven Blase gibt. Diese Übersichtsarbeit liefert Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit, dass Akupunktur im Vergleich zu Medikamenten die Heilung oder die Symptome der überaktiven Blase geringfügig verbessert und möglicherweise die Häufigkeit leichter unerwünschter Ereignisse verringert.

Diese Schlussfolgerungen müssen vorläufig bleiben, bis größere, qualitativ hochwertigere Studien mit relevanten, vergleichbaren Zielgrößen abgeschlossen sind. Der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Behandlung, die Auswahl der Akupunktur-Punkte, die Durchführung und die langfristige Nachbeobachtung sind weitere forschungsrelevante Bereiche.

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Hintergrund: 

Die überaktive Blase ist ein weit verbreiteter und langwieriger Symptomkomplex, welcher die Symptome hohe Miktionsfrequenz, imperativer Harndrang mit oder ohne Harninkontinenz und Nykturie umfasst. Etwa 11% der Bevölkerung haben eine überaktive Blase, wobei die Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter ansteigt. Die Symptome können mit sozialen Ängsten und adaptiven Verhaltensänderungen einhergehen. Die Kosten für die Behandlung der überaktiven Blase sind beträchtlich, wobei die Behandlungen in ihrer Wirksamkeit variieren und mit Nebenwirkungen verbunden sein können. Akupunktur wurde als alternative Behandlung vorgeschlagen.

Zielsetzungen: 

Ziel des Reviews war die Bewertung der Wirkungen von Akupunktur zur Behandlung einer überaktiven Blase bei Erwachsenen und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse relevanter ökonomischer Analysen.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Cochrane Incontinence Specialized Register, welches Studien beinhaltet, die aus dem Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), MEDLINE (einschließlich In-Process, Epub Ahead of Print, täglich), ClinicalTrials.gov und WHO ICTRP (Suche am 14. Mai 2022) identifiziert wurden. Wir durchsuchten auch die Allied and Complementary Medicine Database (AMED) und bibliografische Datenbanken, für die chinesische Sprachkenntnisse notwendig sind: China National Knowledge Infrastructure (CNKI); Chinesische Zeitschrift für Wissenschaft und Technologie Database (VIP) und WANFANG (China Online Journals), sowie die Referenzlisten relevanter Artikel.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), Quasi-RCTs und Cross-Over-RCTs ein, welche die Wirkung der Akupunktur zur Behandlung der überaktiven Blase bei Erwachsenen untersuchten.

Datensammlung und ‐analyse: 

Vier Review-Autor*innen bildeten Paare, um die Studieneignung zu bewerten und Daten zu extrahieren. Beide Paare verwendeten für das Screening und die Datenextraktion die Covidence-Software . Wir bewerteten das Risiko einer Verzerrung mit Hilfe des Cochrane-Tools für das Bias-Risiko und die Heterogenität mit Hilfe des Chi2-Tests und der I2-Statistik, die im Rahmen der Metaanalysen erstellt wurden. In den Metaanalysen wurde das Fixed-Effects-Modell verwendet, es sei denn, es lag ein moderates oder hohes Maß an Heterogenität vor. Dann wurde ein Random-Effects-Modell verwendet. Wir verwendeten den GRADE-Ansatz, um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu bewerten.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 15 Studien mit 1395 Teilnehmenden in diesen Review ein (14 RCTs und eine Quasi-RCT). Alle eingeschlossenen Studien gaben Anlass zu Bedenken hinsichtlich des Bias-Risiko. Eine Verblindung der Teilnehmenden erfolgte nur in 20% der Studien. Die Verblindung derjenigen, die das Ergebnis ermittelten, und die verdeckte Zuteilung war nur in 25% der Studien mit einem geringen Bias-Risiko verbunden. Die Generierung der zufälligen Zuteilung war bei mehr als der Hälfte der Studien entweder unklar oder mit einem hohen Bias-Risiko verbunden.

Akupunktur versus keine Behandlung

In einer Studie wurde Akupunktur mit keiner Behandlung verglichen. Die Evidenz ist sehr unsicher, was die Wirkung von Akupunktur im Vergleich zu keiner Behandlung bei der Heilung oder Verbesserung von Symptomen der überaktiven Blase und bei der Anzahl geringfügiger unerwünschter Ereignisse betrifft (für beide Ergebnisse ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz sehr niedrig). Im Studienbericht wird ausdrücklich festgestellt, dass keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse aufgetreten sind. In der Studie wurde nicht über das Vorhandensein oder Fehlen von Harndrang, Episoden von Harninkontinenz, Häufigkeit des Wasserlassens am Tag oder Episoden von Nykturie berichtet.

Akupunktur versus Scheinakupunktur

In fünf Studien wurde Akupunktur mit Scheinakupunktur verglichen. Die Evidenz für die Wirkung der Akupunktur auf die Heilung oder Verbesserung der Symptome der überaktiven Blase im Vergleich zur Scheinakupunktur sind sehr unsicher (standardisierte mittlere Differenz (SMD) -0,36, 95 % Konfidenzintervall (KI) -1,03 bis 0,31; 3 Studien; 151 Teilnehmende; I2 = 65 %; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Alle fünf Studien gaben ausdrücklich an, dass während der Studie keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse beobachtet wurden. Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit deutet darauf hin, dass die Akupunktur im Vergleich zur Scheinakupunktur wahrscheinlich keinen Unterschied hinsichtlich geringfügiger unerwünschter Ereignisse zeigt (Risikoverhältnis (RR) 1,28, 95 % KI 0,30 bis 5,36; 4 Studien; 222 Teilnehmende; I² = 0 %). Nur in einer kleinen Studie wurden Daten über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Harndrang und von Episoden von Nykturie erhoben. Die Evidenz ist dabei für beide Endpunkte von sehr geringer Vertrauenswürdigkeit und in beiden Fällen ist das untere Konfidenzintervall nicht plausibel. Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich nur geringe oder keine Unterschiede zwischen einer Akupunktur und Scheinakupunktur hinsichtlich Harninkontinenz-Episoden gibt (mittlerer Unterschied (MD) 0,55, 95 % KI -1,51 bis 2,60; 2 Studien; 121 Teilnehmende; I2 = 57%). In zwei Studien wurden Daten zur Häufigkeit des Wasserlassens am Tag erfasst, die wir jedoch aufgrund unterschiedlicher Methoden nicht in einer Metaanalyse zusammenfassen konnten (Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit).

Akupunktur versus Medikamente

In elf Studien wurde Akupunktur mit Medikamenten verglichen. Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit deutet darauf hin, dass Akupunktur im Vergleich zu Medikamenten die Heilung oder Verbesserung der Symptome einer überaktiven Blase leicht erhöhen kann (RR 1,25, 95 %-KI 1,10 bis 1,43; 5 Studien; 258 Teilnehmende I2 = 19%). Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit deutet darauf hin, dass Akupunktur das Auftreten geringfügiger unerwünschter Ereignisse im Vergleich zu Medikamenten verringern kann (RR 0,34, 95 % KI 0,26 bis 0,45; 8 Studien; 1004 Teilnehmende; I² = 51 %). Die Evidenz ist unsicher hinsichtlich der Wirkung von Akupunktur auf das Vorhandensein oder Fehlen von Harndrang (MD -0,40, 95% KI -0,56 bis -0,24; 2 Studien; 80 Teilnehmende; I2 = 0%; sehr geringe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz)und Harninkontinenz-Episoden (MD -0,33, 95% KI -2,75 bis 2,09; 1 Studie; 20 Teilnehmende; sehr geringe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) im Vergleich zu Medikamenten. Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit deutet darauf hin, dass Akupunktur im Vergleich zu Medikamenten wenig bis gar keine Auswirkungen in Bezug auf die Tagesmiktionsfrequenz hat (MD 0,73, 95 % KI -0,39 bis 1,85; 4 Studien; 360 Teilnehmende I2 = 28%). Akupunktur kann die Anzahl der nächtlichen Harndrang-Episoden im Vergleich zu Medikamenten leicht reduzieren (MD -0,50, 95% KI -0,65 bis -0,36; 2 Studien; 80 Teilnehmende; I2 = 0%, Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit).

In keiner der einbezogenen Studien traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf. Allerdings sind schwerwiegende unerwünschte Ereignisse in Akupunkturstudien selten, und die in dieser Übersichtsarbeit gesammelten Zahlen reichen möglicherweise nicht aus, um diese Ereignisse zu erkennen.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

F. Aschoff, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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