Psychologische Behandlungen für Menschen mit Epilepsie

Fragestellung des Reviews

In diesem Cochrane-Review wollten wir herausfinden, ob das Wohlbefinden (die Lebensqualität) von Menschen mit Epilepsie durch die Teilnahme an kompetenzorientierten psychologischen Therapien oder Lerntherapien verbessert werden kann.

Warum ist das wichtig?

Epilepsie ist eine Funktionsstörung im Gehirn, bei der sich intensive elektrische Aktivität im Gehirn wie ein Sturm ausbreitet und dazu führt, dass die Signale des Gehirns durcheinandergeraten, was letztendlich zu einem Krampfanfall führt. Krampfanfälle haben unterschiedliche Auswirkungen: Sie können ungewöhnliche Sinneseindrücke, Bewegungen oder Gefühle, Bewusstseinsverlust, Stürze, Steifigkeit oder Zuckungen verursachen. Epileptische Anfälle können wiederholt und ohne jeglichen Auslöser auftreten. Sie können jederzeit und überall vorkommen. Sie können plötzlich und häufig auftreten.

Epilepsie kann maßgeblich das Wohlbefinden und die Lebensqualität eines Menschen beeinflussen. So leiden beispielsweise viele Menschen mit Epilepsie unter Depressionen oder Angstzuständen, Gedächtnisproblemen, Arbeitslosigkeit und Diskriminierung, unerwünschten Nebenwirkungen von Medikamenten, Herausforderungen hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit und Sorgen über Krampfanfälle und ihre Folgen.

Die Behandlungen von Epilepsie zielen üblicherweise darauf ab, die Anzahl der Krampfanfälle zu reduzieren oder diese vollständig zu verhindern, wobei möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten sollen. Unabhängig davon könnten psychologische Therapien, die normalerweise von Psychologen, Psychiatern oder anderen medizinischen Fachkräften durchgeführt werden, das Wohlbefinden von Menschen mit Epilepsie verbessern.

Wie sind wir vorgegangen?

Am 12. August 2019 durchsuchten wir Forschungsdatenbanken nach Studien, in denen die Auswirkungen einer psychologischen Therapie auf die Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie gemessen wurden. Wir fanden 36 Studien, an denen 3.526 Menschen mit Epilepsie teilnahmen. Die Teilnehmer der meisten Studien waren Erwachsene (27 Studien); nur an drei Studien nahmen Jugendliche und Erwachsene und an sechs Kinder und Jugendliche teil.

Die meisten Studien (27) erfassten die Auswirkungen von „kompetenzorientierten“ psychologischen Therapien. Diese Behandlungen vermitteln den Menschen Fähigkeiten, die sie in ihrem Alltag nutzen können. Zu den Behandlungsansätzen kompetenzorientierter Therapien zählten: kognitive Verhaltenstherapie (CBT) einschließlich CBT-Techniken, wie Atmen, logisches Denken oder Visualisieren, Beratung und Achtsamkeitsübungen. In den anderen neun Studien wurden die Ergebnisse von Lerntherapien gemessen. Diese Behandlungen zielten darauf ab, das Wissen der Menschen über Epilepsie und verwandte Krankheiten, Behandlungen für Epilepsie oder die Funktionsweise des Gehirns zu erweitern. In den Studien wurden die Auswirkungen von psychologischen Therapien mit einer individuellen Standardtherapie, Antidepressiva oder sozialer Unterstützung verglichen.

Die 36 Studien waren unterschiedlich aufgebaut und beurteilten die Lebensqualität der Menschen anhand unterschiedlicher Skalen, sodass wir sie nicht alle vergleichen konnten. Nichtsdestotrotz konnten wir die Ergebnisse von 11 Studien zu kompetenzorientierten Therapien vergleichen, da sie für die Beurteilung der Lebensqualität dieselbe Skala verwendeten.

Was haben wir herausgefunden?

Die 11 Studien (mit 643 Erwachsenen und Jugendlichen) wurden in Europa (3 Studien), den USA (4), Hongkong (2), Mexiko (1) und Australien (1) durchgeführt. Die Studienteilnehmer wurden über einen Zeitraum von 12 Wochen bis 2 Jahren beobachtet und beurteilt.

Die 11 Studien maßen verschiedene Aspekte der Lebensqualität. Menschen, die kompetenzorientierte psychologische Therapien erhielten, berichteten über eine insgesamt bessere Lebensqualität als diejenigen mit einer Standardbehandlung (8 Studien), sozialer Unterstützung (2) oder Antidepressiva (1).

10 von 11 Studien untersuchten außerdem Subskalen der Fragebögen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität, um spezifische Aspekte der Lebensqualität zu beurteilen. Die Teilnehmer dieser Studien berichteten über bessere Ergebnisse in den sechs Subskalen, - emotionales Wohlbefinden, Energie und Ermüdung, generelles Wohlbefinden, Sorgen aufgrund von Krampfanfällen, Medikamentenwirkung und soziale Funktion, die zur berechneten Gesamtlebensqualität zusammengefasst sind.

Kernaussagen

Wir kamen zu dem Schluss, dass kompetenzorientierte psychologische Therapien das Wohlbefinden (die Lebensqualität) von Erwachsenen und Jugendlichen mit Epilepsie verbessern können.

Die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse aus diesen 11 Studien zu psychologischen Therapien bei Menschen mit Epilepsie war moderat. Wir denken, dass weitere Studien zu diesem spezifischen Endpunkt der Lebensqualität unsere Ergebnisse wahrscheinlich nicht verändern würden.

Dieser Review ist auf dem Stand vom 12. August 2019.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Bedeutung für die Praxis: Kompetenzorientierte psychologische Interventionen verbessern die HRQoL bei Erwachsenen und Jugendlichen mit Epilepsie. Der begleitende Einsatz von kompetenzorientierten psychologischen Behandlungen für Erwachsene und Jugendliche mit Epilepsie kann zusätzliche Vorteile für die HRQoL bieten, wenn diese in das patientenzentrierte Management integriert werden. Wir beurteilen die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als moderat.

Bedeutung für die Forschung: Forscher sollten sich strikt an die CONSORT-Richtlinien halten, um die Qualität der Berichterstattung über ihre Interventionen zu verbessern. Eine sorgfältige Beschreibung der Interventionsprotokolle ist notwendig, um Reproduzierbarkeit zu gewährleisten.

Bei der Untersuchung der Alltagswirksamkeit von psychologischen Behandlungen für Menschen mit Epilepsie würde die Verwendung von standardisierten HRQoL-Inventaren, wie die Quality of Life in Epilepsy Inventare (QOLIE-31, QOLIE-31-P, und QOLIE-89), die Vergleichbarkeit erhöhen. Leider gibt es eine kritische Lücke bei pädiatrischen RCTs und RCTs, die Menschen mit Epilepsie und Lernschwächen einschließen.

Zum Schluss sollte eine adäquate Randomisierung mit verdeckter Randomisierung und verblindeter Endpunktbeurteilung angestrebt werden, um die Gesamtqualität von RCT-Studiendesigns zu erhöhen. Da die Attrition bei Untersuchungen, die eine aktive Teilnahme erfordern, oft hoch ist, sollte eine Intention-to-treat-Analyse durchgeführt werden. Die Behandlungsintegrität und Behandlungskompetenz sollten ebenfalls beurteilt werden. Über diese wichtigen Dimensionen, die mit der Beurteilung des „Risiko für Bias“ zusammenhängen, sollte immer berichtet werden.

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Hintergrund: 

In Anbetracht der signifikanten Auswirkung, die Epilepsie auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) von Menschen mit Epilepsie und ihre Familien haben kann, besteht ein zunehmendes klinisches Interesse an evidenzbasierten psychologischen Behandlungen, die auf die Verbesserung von psychologischen Endpunkten und Endpunkten bezüglich der Krampfanfälle für diese Gruppe abzielen.

Dies ist eine aktualisierte Version des ursprünglichen Cochrane Reviews, der in Ausgabe 10, 2017 veröffentlicht wurde.

Zielsetzungen: 

Die Beurteilung der Auswirkung von psychologischen Behandlungen für Menschen mit Epilepsie auf die HRQoL-Endpunkte.

Suchstrategie: 

Für diese Aktualisierung durchsuchten wir am 12. August 2019 die folgenden Datenbanken in allen Sprachen: Cochrane Register of Studies (CRS Web), welches randomisierte oder quasi-randomisierte, kontrollierte Studien enthält aus den Spezialregistern der Cochrane Review Gruppen einschließlich Epilepsie, dem Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), MEDLINE (Ovid, 1946 bis 09. August 2019), und PsycINFO (EBSCOhost, ab 1887) sowie aus PubMed, Embase, ClinicalTrials.gov und der International Clinical Trials Registry Platform (ICTRP) der Weltgesundheitsorganisation. Wir überprüften die Referenzen der eingeschlossenen Studien und relevanten Reviews und kontaktierten Forscher auf diesem Gebiet, um unveröffentlichte Studien zu erhalten.

Auswahlkriterien: 

Wir berücksichtigen für diesen Review randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) und Quasi-RCTs. HRQoL war der wichtigste Endpunkt. Für die Arbeitsdefinition von „psychologischen Behandlungen“ schlossen wir ein breites Spektrum an kompetenzorientierten Behandlungen und rein pädagogischen Interventionen ein, die die Häufigkeit und Schwere von Krampfanfällen sowie psychiatrische und verhaltensbezogene Begleiterkrankungen bei Erwachsenen und Kindern mit Epilepsie verbessern sollten. Diese psychologischen Behandlungen wurden mit dem üblichen Behandlungskonzept (TAU), einer aktiven Kontrollgruppe (wie z. B. einer sozialen Selbsthilfegruppe) oder einer antidepressiven Pharmakotherapie verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir verwendeten die von Cochrane geforderten methodischen Standardverfahren.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 36 abgeschlossene RCTs mit insgesamt 3.526 Teilnehmern ein. In 27 Studien wurden kompetenzorientierte psychologische Interventionen untersucht. Die restlichen neun Studien umfassten rein pädagogische Interventionen. Sechs Studien untersuchten Interventionen für Kinder und Jugendliche, drei Studien Interventionen für Jugendliche und Erwachsene und die übrigen Studien Interventionen für Erwachsene. Basierend auf zufriedenstellender klinischer und methodischer Homogenität fassten wir Daten von 11 Studien (643 Teilnehmer) zusammen, die die QOLIE-31 (Lebensqualität bei Epilepsie) verwendeten oder andere QUOLIE-Inventare (wie z. B. QOLIE-89 oder QOLIE-31-P), die in QOLIE-31 umgewandelt werden können. Wir fanden signifikante Durchschnittsveränderungen für den QOLIE-31-Gesamtscore und sechs Subskalen (emotionales Wohlbefinden, Energie und Ermüdung, allgemeine QoL, Sorgen über Krampfanfälle, Medikamentenwirkung und kognitive Funktionen). Die durchschnittlichen Veränderungen des QOLIE-31-Gesamtscores (durchschnittliche Verbesserung von 5,23 Punkten, 95 % KI 3,02 bis 7,44; P < 0,001) und des QoL-Gesamtscores (durchschnittliche Verbesserung von 5,95 Punkten, 95 % KI 3,05 bis 8,85; P < 0,001) überschritten die Grenze der minimal wichtigen Veränderung (MIC: Gesamtscore: 4,73 Punkte; QoL-Wert: 5,22 Punkte), was auf eine klinisch bedeutsame Verbesserung der HRQOL nach der Intervention hinweist. Wir stuften die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aus der Metaanalyse aufgrund ernsthafter Risiken für Bias in einigen der eingeschlossenen Studien herab. Somit lieferten diese Ergebnisse Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit, dass psychologische Behandlungen für Erwachsene mit Epilepsie die allgemeine HRQoL verbessern könnten.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

Universität Heidelberg, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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