Welche Medikamente eignen sich am besten für Menschen mit einer Verengung der großen Halsschlagadern (Karotiden, Blutgefäße, die sauerstoffreiches Blut vom Herzen zum Gehirn transportieren)?

Kernaussagen

Im Vergleich zu einem Placebo (einem Arzneimittel ohne Wirkstoff) ergab der Review folgendes:
- Warfarin, ein Antikoagulans (blutverdünnendes Arzneimittel), verringert möglicherweise das Risiko von Nebenwirkungen um 11 %;
- Chlorthalidon, ein Antihypertensivum (Arzneimittel zur Senkung von hohem Blutdruck), verringert möglicherweise das Fortschreiten der Verengung der Halsschlagadern um 55 %.

Es besteht ein Bedarf an Studien mit mehr Teilnehmenden und einer langfristigen Nachbeobachtung, um die beste medikamentöse Behandlung beeinflussbarer Risikofaktoren für Menschen mit asymptomatischer Karotisstenose zu ermitteln.

Was ist eine asymptomatische Karotisstenose?

Eine Karotisstenose ist eine Verengung der Karotis-Arterien (Karotiden), das heißt der großen Blutgefäße, die das Gehirn mit Blut versorgen. Von einer "asymptomatischen Karotisstenose" spricht man, wenn diese Verengung keine Beschwerden verursacht. Die Verengung wird durch Atherosklerose verursacht: Ablagerungen von Fetten, Cholesterin und anderen Substanzen in und an den Blutgefäßwänden. Eine Verengung der Halsschlagadern kann sich ohne Symptome entwickeln, so dass das erste Symptom ein tödlicher oder zu Behinderung führender Schlaganfall sein kann.

Wie wird eine asymptomatische Karotisstenose behandelt?

Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, kann durch die Kontrolle beeinflussbarer Risikofaktoren für Atherosklerose wie Bluthochdruck, Rauchen, erhöhte Cholesterinwerte und Diabetes verringert werden. Es gibt eine Reihe von Arzneimitteln, die für diese Zwecke eingesetzt werden, z. B:

- blutdrucksenkende Medikamente;
- cholesterin- oder lipidsenkende Medikamente (Medikamente, die einen hohen Cholesterinspiegel oder zu hohe Blutfettwerte senken);
- Antikoagulanzien (auch „Blutverdünner" genannt); oder
- Thrombozytenaggregationshemmer (Medikamente, die die Bildung von Blutgerinnseln verhindern).

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, welche Arzneimittel bei Vorliegen einer asymptomatischen Karotisstenose am besten geeignet sind, um eine Gehirnschädigung, Schlaganfälle, den Tod, schwere Blutungen und ein Fortschreiten der Verengung der Karotisarterien zu verhindern.

Wir wollten auch herausfinden, ob diese Arzneimittel die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, und ob sie unerwünschte oder schädliche Wirkungen haben.

Wie gingen wir vor?

Wir suchten nach Studien, in denen eine Art von Arzneimittel mit einer anderen Art von Arzneimittel, einem Placebo (einem Arzneimittel ohne Wirkstoff) oder keiner Behandlung bei Menschen jeglichen Alters mit asymptomatischer Karotisstenose verglichen wurde.

Wir fassten die Ergebnisse der Studien zusammen, verglichen sie und bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz anhand von Faktoren wie der Methodik und Größe der Studien.

Was fanden wir heraus?

Wir fanden 34 Studien, in denen die uns interessierenden Arzneimittel untersucht wurden. An den Studien nahmen insgesamt 11.571 Personen mit asymptomatischer Karotisstenose teil. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden betrug 61 Jahre (Spanne: 18 bis 100 Jahre). Annähernd zwei Drittel von ihnen waren männlich. Die Studien wurden in ambulanten medizinischen Einrichtungen auf der ganzen Welt durchgeführt. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug weniger als drei Jahre.

Nur in 22 der 34 Studien wurden die uns interessierenden Endpunkte untersucht. Die Ergebnisse dieser Studien wurden in unsere Analysen einbezogen. Die 22 Studien umfassten insgesamt 6887 Personen mit asymptomatischer Karotisstenose.

In keiner der Studien wurden die Teilnehmenden auf neurologische (d. h. Hirn-) Schäden untersucht, und in keiner wurde die Veränderung der Lebensqualität gemessen.

Hauptergebnisse

Thrombozytenaggregationshemmer (Aspirin) im Vergleich zu einem Placebo

Aspirin (1 Studie; 372 Teilnehmende) verhindert im Vergleich zu einem Placebo möglicherweise nicht das Auftreten von Schlaganfällen, den Tod durch Schlaganfall oder das Fortschreiten der Verengung der Halsschlagader, und erhöht im Vergleich zu einem Placebo möglicherweise nicht das Auftreten unerwünschter Wirkungen. Die Wirkung von Aspirin auf große Blutungsereignisse ist unklar.

Arzneimittel gegen hohen Blutdruck (Metoprolol und Chlorthalidon) im Vergleich zu einem Placebo

Es ist unklar, ob Metoprolol (1 Studie, 793 Teilnehmende) das Auftreten von Schlaganfällen oder den Tod durch Schlaganfall verhindern kann. Chlorthalidon (1 Studie, 129 Teilnehmende) verlangsamt im Vergleich zu einem Placebo jedoch möglicherweise das Fortschreiten der Karotisverengung. In keiner der beiden Studien wurden größere Blutungen oder Nebenwirkungen erhoben.

Gerinnungshemmendes Arzneimittel (Warfarin) im Vergleich zu einem Placebo

Es ist ungewiss, ob Warfarin (1 Studie, 919 Teilnehmende) im Vergleich zu einem Placebo größere Blutungsereignisse verursacht. Möglicherweise verursacht es jedoch im Vergleich zu einem Placebo Nebenwirkungen. In der Studie wurde weder das Auftreten von Schlaganfällen, noch der Tod durch Schlaganfall oder das Fortschreiten der Karotisstenose erhoben.

Cholesterinsenkende Medikamente (Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Rosuvastatin und Probucol) im Vergleich zu einem Placebo oder keiner Behandlung

Es ist unklar, ob cholesterinsenkende Medikamente im Vergleich zu einem Placebo oder keiner Behandlung das Auftreten von Schlaganfällen (5 Studien, 2235 Teilnehmende) oder den Tod durch Schlaganfall (2 Studien, 1366 Teilnehmende) verhindern, und ob mehr Nebenwirkungen auftreten (7 Studien, 3726 Teilnehmende). In den Studien wurden keine großen Blutungen oder das Fortschreiten der Karotisstenose erhoben.

Was schränkt die Evidenz ein?

Unser Vertrauen in die Evidenz zur Vorbeugung von Schlaganfällen, dem Tod, dem Fortschreiten der Karotisverengung, dem Auftreten von Nebenwirkungen und schwerwiegenden Blutungsereignissen ist begrenzt. Bei einigen Studien gab es methodische Probleme oder die Studienmethoden wurde nicht ausreichend berichtet. Insgesamt ist die Evidenz zum Einsatz von Medikamenten bei asymptomatischer Karotisstenose begrenzt.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?

Die Evidenz ist auf dem Stand von August 2022.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Auch wenn es keine Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit für pharmakologische Interventionen gibt, bedeutet dies nicht, dass pharmakologische Behandlungen unwirksam sind, um ischämische zerebrale Ereignisse, Morbidität und Mortalität zu verhindern. Um die Wirksamkeit der optimalen medizinischen Behandlung zur Verringerung der Belastung durch Karotisstenose besser zu beurteilen, bedarf es qualitativ hochwertiger randomisierter kontrollierter Studien (RCTs). In der Zwischenzeit müssen die Kliniker auf andere Informationsquellen zurückgreifen.

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Hintergrund: 

Bei der Karotisstenose handelt es sich um eine Verengung der Karotisarterien. Von einer asymptomatischen Karotisstenose spricht man, wenn diese Verengung bei Menschen auftritt, die weder eine Vorgeschichte noch Symptome dieser Krankheit haben. Sie wird durch Atherosklerose verursacht, d. h. durch die Ablagerung von Fetten, Cholesterin und anderen Substanzen in und an den Arterienwänden. Atherosklerose tritt mit größerer Wahrscheinlichkeit bei Menschen auf, die mehrere Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, Hyperlipidämie und Rauchen aufweisen. Da sich diese Schäden ohne Symptome entwickeln können, kann das erste Symptom ein tödlicher oder oder zu Behinderungen führender Schlaganfall sein, bekannt als ischämischer Schlaganfall. Eine Karotisstenose, die zu einem ischämischen Schlaganfall führt, tritt am häufigsten bei Männern über 70 Jahren auf. Der ischämische Schlaganfall stellt global eine bedeutende Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar.

Zielsetzungen: 

Bewertung der Wirkungen pharmakologischer Interventionen zur Behandlung asymptomatischer Karotisstenosen im Hinblick auf die Verhinderung neurologischer Beeinträchtigungen, ipsilateraler schwerer oder zu Behinderungen führender Schlaganfälle, Todesfälle, schwerer Blutungen und anderer Endpunkte.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten das Studienregister der Cochrane Stroke Group, CENTRAL, MEDLINE, Embase, zwei weitere Datenbanken und drei Studienregister von Beginn an bis zum 9. August 2022. Wir überprüften auch die Referenzlisten aller relevanten systematischen Übersichten, die wir identifiziert hatten, und kontaktierten Fachleute auf dem Gebiet, um zusätzliche Hinweise auf Studien zu erhalten.

Auswahlkriterien: 

Eingeschlossen wurden alle randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) unabhängig von Publikationsstatus und Sprache, die eine pharmakologische Intervention mit Placebo, keiner Behandlung oder einer anderen pharmakologischen Intervention bei asymptomatischer Karotisstenose verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Es wurden die Standardmethoden von Cochrane verwendet. Zwei Autor*innen extrahierten unabhängig voneinander die Daten und bewerteten das Risiko einer Verzerrung der Studien. Eine dritte Person klärte gegebenenfalls bestehende Differenzen Wir haben die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz für die wichtigsten Endpunkte anhand von GRADE bewertet.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 34 RCTs mit 11.571 Teilnehmenden ein. Daten für eine Metaanalyse lagen nur aus 22 Studien mit 6887 Teilnehmenden vor. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 2,5 Jahre. In keiner der 34 eingeschlossenen Studien wurden neurologische Beeinträchtigungen und die Lebensqualität bewertet.

Thrombozytenaggregationshemmer (Acetylsalicylsäure) versus Placebo

Acetylsalicylsäure (1 Studie, 372 Teilnehmende) führt möglicherweise zu einem geringen bis gar keinem Unterschied in Bezug auf ipsilaterale schwere oder zu Behinderungen führenden Schlaganfällen (Risikoverhältnis (RR) 1,08, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,47 bis 2.47), schlaganfallbedingter Sterblichkeit (RR 1,40, 95% KI 0,54 bis 3,59), Fortschreiten der Karotisstenose (RR 1,16, 95% KI 0,79 bis 1,71) und unerwünschten Ereignissen (RR 0,81, 95% KI 0,41 bis 1,59) im Vergleich zu Placebo (alle Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). Die Wirkung von Acetylsalicylsäure auf schwere Blutungen ist sehr unsicher (RR 0,98, 95% KI 0,06 bis 15,53; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). In der Studie wurden keine neurologischen Beeinträchtigungen oder die Lebensqualität gemessen.

Blutdrucksenkende Mittel (Metoprolol und Chlorthalidon) versus Placebo

Der Blutdrucksenker Metoprolol führt im Vergleich zu Placebo möglicherweise zu keinem Unterschied in Bezug auf ipsilaterale schwere oder zu Behinderungen führende Schlaganfälle (RR 0,14, 95% KI 0,02 bis 1,16; 1 Studie, 793 Teilnehmende) und schlaganfallbedingte Sterblichkeit (RR 0,57, 95% KI 0,17 bis 1,94; 1 Studie, 793 Teilnehmende) (jeweils Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). Allerdings kann Chlorthalidon im Vergleich zu Placebo das Fortschreiten der Karotisstenose verlangsamen (RR 0,45, 95% KI 0,23 bis 0,91; 1 Studie, 129 Teilnehmende; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). In keiner der beiden Studien wurden neurologische Beeinträchtigungen, größere Blutungen, unerwünschte Ereignisse oder die Lebensqualität gemessen.

Antikoagulanz (Warfarin) versus Placebo

Die Evidenz über die Wirkungen von Warfarin (1 Studie, 919 Teilnehmende) auf schwere Blutungen ist sehr unsicher (RR 1,19, 95% KI 0,97 bis 1,46; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit), möglicherweise werden unerwünschte Ereignisse im Vergleich zu Placebo reduziert (RR 0,89, 95% KI 0,81 bis 0,99; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). In der Studie wurden keine neurologischen Beeinträchtigungen, ipsilaterale schwere oder zu Behinderungen führende Schlaganfälle, schlaganfallbedingte Sterblichkeit, das Fortschreiten der Karotisstenose oder die Lebensqualität gemessen.

Lipidsenker (Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Probucol und Rosuvastatin) gegenüber Placebo oder keiner Behandlung

Lipidsenker führen möglicherweise zu geringen bis keinen Unterschieden bei ipsilateralen schweren oder zu Behinderungen führenden Schlaganfällen (Atorvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Rosuvastatin; RR 0,36, 95% KI 0,09 bis 1,53; 5 Studien, 2235 Teilnehmende), schlaganfallbedingter Mortalität (Lovastatin und Pravastatin; RR 0.25, 95% KI 0,03 bis 2,29; 2 Studien, 1366 Teilnehmende), und unerwünschten Ereignissen (Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Probucol und Rosuvastatin; RR 0,76, 95% KI 0,53 bis 1,10; 7 Studien, 3726 Teilnehmende) im Vergleich zu Placebo oder keiner Behandlung (alle Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). In den Studien wurden keine neurologischen Beeinträchtigungen, schwere Blutungen, das Fortschreiten der Karotisstenose oder die Lebensqualität gemessen.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, C. Braun, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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