Fludrocortison zur Behandlung eines Blutdruckabfalls nach dem Aufstehen (orthostatische Hypotension)

Fragestellung des Reviews

Verhindert oder verringert Fludrocortison bei Menschen mit orthostatischer Hypotonie einen symptomatischen Blutdruckabfall, der bei Positionsveränderungen (z. B. vom Sitzen zum Stehen) auftritt, und hat es unerwünschte Wirkungen?

Hintergrund

Orthostatische oder posturale Hypotonie ist eine krankhafte Störung, bei der der Blutdruck abfällt, wenn man aus einer sitzenden oder liegenden Position in eine stehende Position wechselt. Eine regelmäßig wiederkehrende symptomatische posturale Hypotonie ist eine Blutdruck-Regulationsstörung.

Sie kann dazu führen, dass das Herz das Gehirn nach einer Lageveränderung nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Sie kann auf eine gestörte Reaktion der Blutgefäße auf eine veränderte Position zurückzuführen sein, wofür es viele Ursachen gibt. Medikamente, Flüssigkeitsmangel, ein schlechter Gesundheitszustand und das Alter tragen zu diesem Problem bei. Die Neigung zu orthostatischer Hypotonie nimmt mit dem Alter zu und tritt bei Menschen über 65 Jahren häufiger auf.

Zu den Symptomen gehören Schwindel, Benommenheit und Schwarzwerden vor den Augen. Manche Menschen haben allgemeinere Beschwerden wie Schwäche, Müdigkeit, Kopfschmerzen, verschwommenes Sehen, Konzentrationsstörungen, Einknicken der Beine, Nackenschmerzen, Kurzatmigkeit oder Brustschmerzen. Es kann auch eine Ohnmacht oder ein Sturz eintreten. Die Symptome nehmen ab, wenn sich der Blutdruck wieder normalisiert. Das ist in der Regel der Fall, wenn der Betroffene sitzt, liegt oder hingefallen ist.

Fludrocortisonacetat ist ein synthetisch hergestelltes Mineralcorticoid, das das Blutvolumen erhöht und die Fähigkeit der Blutgefäße verbessert, auf Lageveränderungen zu reagieren. Fludrocortison wird als Tablette eingenommen. Unerwünschte Wirkungen wie hoher Blutdruck, Wassereinlagerungen (z.B. geschwollene Knöchel), Herzschwäche, Kaliummangel, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und vermehrtes Schwitzen können auftreten. Andere gängige Medikamente gegen orthostatische Hypotonie sind Midodrin und Droxidopa.

Eine orthostatische Hypotonie kann durch viele zugrunde liegende Krankheiten und Zustände verursacht sein. Deshalb ist es wichtig, die Wirkung von Fludrocortison in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden körperlichen Ursache (Pumpleistung des Herzens oder Reaktion der Blutgefäße), von anderen zugrunde liegenden Krankheiten (wie Parkinson-Krankheit, Diabetes) und vom Alter zu beurteilen. So können wir besser verstehen, ob die Einnahme dieses Medikaments bestimmten Gruppen von Menschen hilft oder schadet.

Wir haben alle Erkenntnisse über die Wirkungen von Fludrocortison bei orthostatischer Hypotonie in diesem Review geprüft.

Datum der Literatursuche

Studien bis zum 11. November 2019 wurden berücksichtigt.

Studienmerkmale

Nach umfassender Prüfung der wissenschaftlichen Literatur wurden 13 Studien mit 513 Teilnehmenden berücksichtigt. Nur drei Studien verwendeten das beste Forschungsdesign (randomisierte kontrollierte Studie, randomised controlled trial, RCT). Zusätzlich füllten zwei Nicht-RCTs Lücken in der Evidenz. Die randomisierten Studien waren klein (insgesamt nur 28 Teilnehmende) und von kurzer Dauer (drei Wochen oder weniger). Die randomisierten Studien ergaben, dass Fludrocortison den orthostatischen Blutdruckabfall bei Menschen mit schwerer diabetischer Neuropathie im Vergleich zu Placebo (einem inaktiven Medikament) und bei Menschen mit Parkinson-Krankheit im Vergleich zu Pyridostigmin (einem Wirkstoff, der den Abbau von Acetylcholin abbremst) verringert. Bei Menschen mit Parkinson-Krankheit konnte weder Fludrocortison noch Pyridostigmin die orthostatischen Beschwerden insgesamt beeinflussen. Beim Vergleich von Fludrocortison mit Domperidon (ein Wirkstoff, der die Bindestellen des Nervenbotenstoffs Dopamin besetzt) verringerten dagegen beide Wirkstoffe die orthostatischen Symptome. Die in diesen Studien beobachteten unerwünschten Wirkungen waren nur geringfügig.

Finanzierung der Studien

Von den fünf randomisierten Studien wurden zwei zumindest teilweise von Forschungsstiftungen (wie der Dysautonomie Stiftung) finanziert. Bei einer Studie wurden Fludrocortison-Tabletten vom pharmazeutischen Hersteller zur Verfügung gestellt, bei zwei Studien wurden keine Angaben zur Finanzierung gemacht.

Hauptergebnisse und Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Aufgrund der sehr eingeschränkten Datenlage können wir keine eindeutigen Schlussfolgerungen über die Anwendung von Fludrocortison bei orthostatischer Hypotonie bei Menschen mit Diabetes oder Parkinson-Krankheit ziehen. Die verfügbare Evidenz zu Blutdruckabfall, orthostatischen Symptomen und unerwünschten Ereignissen bei Menschen mit Diabetes oder Parkinson-Krankheit war von sehr geringer Aussagekraft. Wir brauchen mehr und bessere Informationen über die Langzeitanwendung und über die Auswirkungen von Fudrocortison bei Menschen mit anderen Krankheiten als Parkinson und Diabetes.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Die Erkenntnisse über die Auswirkungen von Fludrocortison auf den Blutdruck, orthostatische Symptome oder unerwünschte Ereignisse bei Menschen mit orthostatischer Hypotonie und Diabetes oder Parkinson-Krankheit sind sehr unsicher. Es mangelt an Informationen zur Langzeitbehandlung und zur Behandlung der orthostatischen Hypotonie bei anderen Erkrankungen. Benötigt wird eine standardisierte Berichterstattung der Zielgrößen und eine Standardisierung der Blutdruckmessungen bei orthostatischer Hypotonie.

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Hintergrund: 

Orthostatische Hypotonie ist ein übermäßiger Blutdruckabfall nach dem Aufstehen, der auf eine Abnahme des Herzzeitvolumens oder auf gestörte oder unzureichende vasokonstriktorische Mechanismen zurückzuführen ist. Fludrocortison ist ein Mineralocorticoid, das das Blutvolumen und den Blutdruck erhöht. Fludrocortison gilt als pharmakologische Erst- oder Zweitlinientherapie bei orthostatischer Hypotonie, neben nicht-medikamentösen Maßnahmen wie erhöhter Flüssigkeits- und Salzzufuhr und venösen Kompressionsmaßnahmen. Es gab bislang keinen Cochrane Review zum Nutzen und Schaden dieses Wirkstoffs bei orthostatischer Hypotonie.

Zielsetzungen: 

Ermittlung und Bewertung des Nutzens und Schadens von Fludrocortison bei orthostatischer Hypotension.

Suchstrategie: 

Wir durchsuchten am 11. November 2019 folgende Datenbanken: Cochrane Neuromuscular Specialised Register, CENTRAL, MEDLINE, Embase und CINAHL. Wir durchsuchten zusätzlich Studienregister.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen alle Studien ein, in denen Nutzen und Schaden von Fludrocortison bei orthostatischer Hypotonie im Vergleich zu Placebo oder einem anderen Medikament untersucht wurde. Auch Studien ohne Vergleichsgruppe wurden berücksichtigt (randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), Quasi-RCTs und Beobachtungsstudien). Eingeschlossen wurden Studien mit orthostatischer Hypotonie aufgrund einer chronischen peripheren Neuropathie, einer zentralen autonomen Neuropathie oder einer autonomen Insuffizienz anderer Ursachen, nicht aber mit medikamentös bedingter orthostatischer Hypotonie oder orthostatischer Hypotonie aufgrund von akutem Volumenmangel oder Blutverlust.

Datensammlung und ‐analyse: 

Für den größten Teil des Reviews verwendeten wir die methodischen Verfahren von Cochrane. Wir entwickelten und benutzen eine Methode, um die Beobachtungsstudien zu priorisieren, die die beste verfügbare Evidenz bieten, wenn es Lücken in der Evidenz von RCTs gibt. Wir bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz für Fludrocortison im Vergleich zu Placebo nach der GRADE-Methodik.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 13 Studien mit 513 Teilnehmenden ein, darunter drei cross-over-RCTs und 10 Beobachtungsstudien (drei Kohortenstudien, sechs Fallserien und eine Fall-Kontroll-Studie). Die eingeschlossenen RCTs waren klein (insgesamt nur 28 Teilnehmende in RCTs), von kurzer Dauer (zwei bis drei Wochen), untersuchten nur orthostatische Hypotonie bei Menschen mit zwei Erkrankungen (Diabetes und Parkinson-Krankheit) und wiesen ein unterschiedliches Bias-Risiko auf (zwei hatten ein unklares Bias-Risiko, ein RCT hatte ein geringes Bias-Risiko). Wegen Heterogenität der Teilnehmerpopulationen, der Vergleichsgruppen und der Methoden zur Ergebnisbewertung konnten wir keine Metaanalyse durchführen.

Wir fanden Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich der Wirkungen von Fludrocortison im Vergleich zu Placebo auf den orthostatischen Blutdruckabfall bei Diabetikern (-26 mmHg versus -39 mmHg systolisch; -7 mmHg versus -11 mmHg diastolisch; eine cross-over-Studie mit 6 Teilnehmenden). Bei Menschen mit Parkinson-Krankheit fanden wir Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich der Wirkungen von Fludrocortison auf den orthostatischen Blutdruckabfall im Vergleich zu Pyridostigmin (-14 mmHg versus -22,1 mmHg diastolisch; p = 0,036; eine cross-over-Studie, 9 Teilnehmende) und Domperidon (keine Veränderung beim Blutdruckabfall nach der Behandlung in beiden Gruppen; eine cross-over-Studie, 13 Teilnehmende).

In Bezug auf orthostatische Symptome fanden wir Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit für Fludrocortison im Vergleich zu Placebo bei Menschen mit Diabetes (4 von 5 Teilnehmenden hatten Verbesserungen der orthostatischen Symptome, eine crossover-Studie, 6 Teilnehmende), für Fludrocortison im Vergleich zu Pyridostigmin bei Menschen mit Parkinson-Krankheit (orthostatische Symptome unverändert; eine cross-over-Studie, 9 Teilnehmende) oder Fludrocortison im Vergleich zu Domperidon (Verbesserung auf 6 für beide Interventionen auf der Composite Autonomic Symptom Scale-Orthostatic Domain (COMPASS-OD); eine cross-over-Studie, 13 Teilnehmende). Die Evidenz hinsichtlich unerwünschter Ereignisse war in beiden Populationen ebenfalls von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit, wobei die berichteten unerwünschten Wirkungen minimal waren.

Beobachtungsstudien füllten einige Lücken in der Evidenz, indem sie die Auswirkungen in größeren Teilnehmergruppen, unter vielfältigeren Bedingungen und über längere Zeiträume hinweg untersuchten. Eine Kohortenstudie (341 retrospektiv untersuchte Personen) ergab, dass Fludrocortison bei familiärer Dysautonomie langfristig keine negativen Wirkungen hat. Es ist jedoch unklar, ob dies zu einer langfristigen Verbesserung des Blutdrucks oder zu einer deutlichen Verbesserung der orthostatischen Symptome führt.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, T. Lempert, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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