Sofortige Antiepileptika-Behandlung nach erstmaligem nicht provoziertem Anfall versus Placebo, verzögerter oder keiner Behandlung

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Die sofortige Behandlung des ersten nicht provozierten Anfalls verringert das Risiko für einen weiteren Anfall, wirkt sich jedoch langfristig nicht auf den Anteil der anfallsfreien Patienten aus. Eine Antiepileptikatherapie ist mit unerwünschten Ereignissen verbunden; es gibt keine Evidenz dafür, dass sie die Mortalität reduziert. Vor dem Hintergrund dieses Reviews sollte die Entscheidung über den Beginn einer Antiepileptika-Behandlung nach einem ersten nicht provozierten Anfall individuell erfolgen und auf den Präferenzen der Patienten sowie auf klinischen, rechtlichen und soziokulturellen Faktoren basieren.

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Hintergrund: 

Dies ist eine aktualisierte Version des ursprünglich 2016 publizierten Cochrane Reviews.

Es herrscht erhebliche Uneinigkeit über das Risiko für weitere Anfälle nach einem ersten nicht provozierten epileptischen Anfall. Für die Entscheidung darüber, ob nach einem ersten Anfall sofort mit einer Antiepileptika-Behandlung begonnen werden soll, sollte die Verringerung des Risikos für weitere Anfälle, der Einfluss auf eine langfristige Anfallsfreiheit und das Risiko unerwünschter Wirkungen berücksichtigt werden.

Zielsetzungen: 

Das Ziel dieses Reviews war die Bewertung der Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle, der Anfallsfreiheit (Remission), der Mortalität und unerwünschter Wirkungen einer sofort nach dem ersten Anfall begonnenen Antiepileptika-Behandlung bei Kindern und Erwachsenen, verglichen mit verschiedenen Kontrollgruppen (Placebo, verzögerte Behandlung oder keine Behandlung).

Suchstrategie: 

Für die jüngste Aktualisierung durchsuchten wir das Cochrane Register of Studies (CRS Web) und MEDLINE (Ovid, von 1946 bis 24. Mai 2019) am 28. Mai 2019. Es gab keine Einschränkungen bezüglich der Sprache. Das Cochrane-Studienregister umfasst das Cochrane Epilepsy Group Specialised Register, das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) und randomisierte oder quasi-randomisierte kontrollierte Studien aus Embase, ClinicalTrials.gov sowie der International Clinical Trials Registry Platform (ICTRP) der Weltgesundheitsorganisation.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) und Quasi-RCTs ein, die verblindet oder nicht verblindet sein konnten. Wir schlossen Menschen jeglichen Alters mit einem ersten nicht provozierten epileptischen Anfall jeglicher Art ein. In den eingeschlossenen Studien wurden Teilnehmende, die eine sofortige Antiepileptika-Behandlung erhielten, mit solchen, die eine verzögerte Behandlung, eine Placebo-Behandlung oder keine Behandlung erhielten, verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren bewerteten unabhängig voneinander die über die Suchstrategie identifizierten Studien bezüglich ihres Einschlusses in den Review und extrahierten die Daten. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz für die Ergebnisse wurde nach dem GRADE-Ansatz in vier Kategorien eingestuft. Dichotome Ergebnisse wurden in Form von Risikoverhältnissen (RR) mit 95%-Konfidenzintervallen (KIs) dargestellt. Time-to-event-Ergebnisse wurden in Form von Hazard Ratios (HR) mit 95%-KI dargestellt. Nur in einer Studie erfolgte eine doppelte Verblindung; die beiden größten Studien waren nicht verblindet. Die meisten wiederkehrenden Anfälle waren generalisierte tonisch-klonische Anfälle, eine häufige Anfallsart, die einfach zu erkennen ist, was das Risiko für Bias aufgrund einer selektiven Berichterstattung von Ergebnissen (Outcome reporting bias) reduzieren dürfte.

Hauptergebnisse: 

Nach Ausschluss irrelevanter Artikel wurden sechs Studien (elf Berichte) in den Review eingeschlossen. Aus den zwei größten Studien waren individuelle Teilnehmerdaten für den Einschluss in die Meta-Analysen verfügbar.

Ein Selektionsbias (Stichprobenverzerrung) und ein Attritionbias (Verzerrung durch Studienabbrecher) konnten in den vier kleineren Studien nicht ausgeschlossen werden, jedoch berichteten die beiden größten Studien Abbruchraten und adäquate Methoden der Randomisierung und verdeckten Zuteilung. Nur eine kleine Studie war doppelt verblindet, während die anderen Studien nicht verblindet waren; die meisten rezidivierenden Anfälle waren jedoch generalisierte tonisch-klonische Anfälle, eine einfach zu erkennende Anfallsart.

Im Vergleich zu den Kontrollgruppen hatten die Patienten, die zur sofortigen Behandlung randomisiert wurden, eine geringere Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv nach einem Jahr (RR 0,49, 95% KI 0,42 bis 0,58; 6 Studien, 1634 Teilnehmende; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) und nach fünf Jahren (RR 0,78; 95% KI 0,68 bis 0,89; 2 Studien, 1212 Teilnehmende; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz), und eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine sofortige 5-Jahres-Remission (RR 1,25; 95% KI 1,02 bis 1,54; 2 Studien, 1212 Teilnehmende; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Es gab jedoch keinen Unterschied zwischen der sofortigen Behandlung und den Kontrollgruppen bezogen auf die Fünf-Jahres-Remission zu irgendeiner Zeit (also auf eine längere Anfallsfreiheit im Krankheitsverlauf) (RR 1,02, 95 % KI 0,87 bis 1,21; 2 Studien, 1212 Teilnehmende; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Die Antiepileptika hatten keinen Einfluss auf die Gesamtmortalität nach einem ersten Anfall (RR 1,16; 95 % KI 0,69 bis 1,95; 2 Studien, 1212 Teilnehmende; hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Im Vergleich zu einer verzögerten Behandlung war die Behandlung des ersten Anfalls mit einem signifikant höheren Risiko für unerwünschte Ereignisse verbunden (RR 1,49, 95 % KI 1,23 bis 1,79; 2 Studien, 1212 Teilnehmende; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Wir bewerteten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als moderat bis niedrig für den Zusammenhang mit einem höheren Risiko für unerwünschte Ereignisse, wenn die Behandlung des ersten Anfalls mit keiner Behandlung oder einer Placebo-Behandlung verglichen wurde (RR 14,50, 95% KI 1,93 bis 108,76; 1 Studie; 118 Teilnehmende) bzw. (RR 4,91, 95% KI 1,10 bis 21,93; 1 Studie, 228 Teilnehmende).

Anmerkungen zur Übersetzung: 

K. Kohler, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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