Lokal begrenztes Prostatakarzinom: Behandlung mit radikaler Prostatektomie oder verzögerter Behandlung

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Basierend auf einer langfristigen Nachbeobachtungszeit zeigt die RP verglichen zum WW möglicherweise erheblich verbesserte onkologische Endpunkte bei Männern mit lokal-begrenztem Prostatakarzinom, allerdings auch merklich erhöhte Raten von Harninkontinenz und erektiler Dysfunktion. Diese Ergebnisse basieren größtenteils auf Patienten, die vor der Verbreitung des PSA-Screenings diagnostiziert wurden, was die Generalisierbarkeit der Daten limitiert. Verglichen mit AM, basierend auf einer Nachbeobachtungszeit von 10 Jahren, führt die RP möglicherweise zu vergleichbaren Ergebnissen bezüglich des Gesamt- und tumorspezifischen Überlebens, während sie die Krankheitsprogression und Metastasenbildung wahrscheinlich reduziert. Die Harnfunktion und erektile Funktion sind möglicherweise vermindert bei Patienten, die mittels einer RP behandelt wurden.

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Hintergrund: 

Das Prostatakarzinom ist ein häufig vorkommender, oftmals aber einlangsam wachsender Tumor. Beim lokal begrenzten Prostatakarzinom bietet die radikale Prostatektomie (RP), die die komplette Entfernung der Prostata beinhaltet, eine potentielle Heilung, die jedoch mit Komplikationen verbunden sein kann. Eine verzögerte Behandlung, bestehend aus Beobachtung und einer alleinigen palliativen Behandlung („Watchful Waiting“, WW) oder einem engmaschigen Monitoring und einer verzögerter Lokalbehandlung mit kurativer Absicht bei Krankheitsprogression (Aktives Monitoring (AM) oder einer aktiven Überwachung (AS)), könnte eine Alternative zur radikalen Behandlung darstellen. Dies ist die Aktualisierung eines Cochrane Reviews, der erstmals 2010 publiziert wurde.

Zielsetzungen: 

Ziel dieses Reviews war die Bewertung der RP im Vergleich zu einer verzögerten Behandlung bei klinisch lokal begrenztem Prostatakarzinom.

Suchstrategie: 

Es wurden die Datenbanken der Cochrane Library (inklusive CDSR, CENTRAL, DARE und HTA), MEDLINE, Embase, AMED, Web of Science, LILACS, Scopus und OpenGrey durchsucht. Zusätzlich wurden zwei Studienregister und die Kongress-Abstracts von drei Kongressen (EAU, AUA und ASCO) bis zum 3. März 2020 durchsucht.

Auswahlkriterien: 

Es wurden alle randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die eine RP mit einer verzögerten Behandlung bei lokal begrenztem Prostatakarzinom, definiert als T1-2-, N0-, M0-Prostatakarzinom, verglichen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Zwei Review-Autoren bewerteten unabhängig voneinander die Eignung der Referenzen und extrahierten die Daten der eingeschlossenen Studien. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum Tod durch jegliche Ursache; sekundäre Endpunkte waren: die Zeit bis zum Tod durch das Prostatakarzinom, die Zeit bis zur Krankheitsprogression, die Zeit bis zur Metastasierung, die Lebensqualität einschließlich Blasen- und Sexualfunktion, und unerwünschte Ereignisse. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde für jeden Endpunkt mittels des GRADE-Ansatzes bewertet.

Hauptergebnisse: 

Es wurden vier Studien mit insgesamt 2635 Patienten (Durchschnittsalter zwischen 60 und 70 Jahren) eingeschlossen. Drei multizentrische RCTs aus Europa und den USA verglichen die RP mit WW (n=1537). Eine Studie verglich die RP mit einem AM (n=1098).

Radikale Prostektomie (RP) versus „Watchful Waiting“ (WW)

Eine RP reduziert möglichweise das allgemeine Sterberisiko (Hazard Ratio (HR) 0.79, 95 %-Konfidenz-Intervall (KI) 0.70-0.90; 3 Studien mit 1537 Teilnehmern, moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Basierend auf der Gesamtmortalität nach 29 Jahren entspricht dies 764 Verstorbenen pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 839 Toten pro 1000 Männern in der WW-Gruppe. Die RP senkt möglicherweise auch das Risiko, am Prostatakarzinom zu versterben (HR 0,57; 95 %-KI 0,44-0,73; 2 Studien mit 1426 Teilnehmern; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Basierend auf der Prostatakarzinom-spezifischen Mortalität nach 29 Jahren entspricht dies 195 am Prostatakarzinom Verstorbenen pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 316 am Prostatakarzinom Verstorbenen pro 1000 Männern in der WW-Gruppe. Eine RP könnte das Progressionsrisiko vermindern (HR 0,43, 95 %-KI 0,35-0,54; 2 Studien mit 1426 Teilnehmern, I2=54 %, niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Nach 19,5 Jahren entspricht dies 391 progredienten Erkrankungen pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 684 progredienten Erkrankungen pro 1000 Männern für die WW-Gruppe. Eine RP kann möglicherweise das Risiko der Entwicklung von Metastasen reduzieren (HR 0,56, 95 %-KI 0,46-0,70; 2 Studien mit 1426 Teilnehmern; I²=0 %, moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Nach 29 Jahren entspricht dies 271 metastasierten Prostatakarzinomen pro 1000 Männern mit RP verglichen mit 431 metastasierten Prostatakarzinomen pro 1000 Männern unter WW.

Die allgemeine Lebensqualität nach 12 Jahren Nachbeobachtungszeit ist möglicherweise für beide untersuchten Gruppen ähnlich (Relatives Risiko (RR) 1,0; 95 %-KI 0,85-1,16, niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Dies entspricht 344 Patienten mit einer hohen Lebensqualität pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 344 Patienten mit einer hohen Lebensqualität pro 1000 Männern in der WW-Gruppe. Die Harninkontinenz-Rate ist möglicherweise in der RP-Gruppe beträchtlich höher (RR 3,97; 95 %-KI 2,34-6,74; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz. Dies entspricht nach 10 Jahren Nachbeobachtungszeit 173 inkontinenten Männern pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 44 inkontinenten Männern in der WW-Gruppe. Ebenso betrifft es die Raten der erektilen Dysfunktion (RR 2.67, 95 %-KI 1,63-4,38; niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Dies entspricht 389 Männern mit erektiler Dysfunktion pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 146 Männern pro 1000 Männern in der WW-Gruppe nach einer 10-jährigen Nachbeobachtungszeit.

Radikale Prostatektomie (RP) versus aktives Monitoring (AM)

Basierend auf einer Studie, die 1098 Patienten mit einer 10-jährigen Nachbeobachtungszeit einschloss, gibt es wahrscheinlich keine Unterschiede zwischen einer RP und einem AM bezüglich des allgemeinen Sterberisikos (HR 0,93; 95%-KI 0,65-1,33, moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Basierend auf einer Gesamtmortalität nach 10 Jahren entspricht dies 101 Verstorbenen pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 108 Verstorbenen pro 1000 Männern in der AM-Gruppe.

Ebenso ist das Risiko, am Prostatakarzinom zu versterben, möglicherweise nicht unterschiedlich zwischen den beiden Gruppen (HR 0,63; 95 %-KI 0,21-1,89; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Basierend auf der Prostatakarzinom-spezifischen Mortalität nach 10 Jahren entspricht dies neun am Prostatakarzinom verstorbenen Männern pro 1000 Männern in der RP Gruppe verglichen mit 15 am Prostatakarzinom verstorbenen Männern pro 1000 Männern in der AM Gruppe. Die RP reduziert möglicherweise das Risiko einer Tumorprogression (HR 0,39; 95 %-KI 0,27-0,56; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz) und das Risiko, Metastasen zu entwickeln (RR 0,39; 95 %-KI 0,21-0,73; moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz; nach 10 Jahren entspricht dies 24 metastasierten Prostatakarzinomen pro 1000 Männern in der RP-Gruppe verglichen mit 61 metastasierten Prostatakarzinomen pro 1000 Männern in der AM-Gruppe.) Während der Nachbeobachtungszeit gab es keine Unterschiede in der allgemeinen Lebensqualität zwischen den beiden Gruppen. Jedoch waren die Blasenfunktion (mittlere Differenz (MD) 8,6 Punkte geringer; 95 %-KI 11,2-6,0 niedriger) und die erektile Funktion (MD 14.9 Punkte niedriger; 95 %-KI 18,5-11,3 Punkte niedriger) schlechter in der RP-Gruppe im Expanded Prostate Cancer Index Composite-26- (EPIC-26) Fragebogen.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

A. Borkowetz, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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