Wahrnehmungen und Erfahrungen im Umgang mit der Prävention, Erkennung und Behandlung von postpartalen Blutungen: eine qualitative Evidenzsynthese

Was ist das Ziel dieser Übersichtsarbeit?

Von einer postpartalen Hämorrhagie (PPH) spricht man, wenn Frauen nach der Geburt einen übermäßigen Blutverlust erleiden. PPH ist die häufigste Todesursache bei Müttern. Ziel dieser qualitativen Cochrane-Evidenzsynthese war es, Faktoren zu erforschen, die die Prävention, Erkennung (Identifikation von Frauen mit übermäßigem Blutverlust) und das Management (Behandlung betroffener Frauen) einer PPH beeinflussen. Um diese Frage zu beantworten, haben wir nach qualitativen Studien gesucht und analysiert, die sich mit den Perspektiven und Erfahrungen von Frauen, Gemeindemitgliedern sowie Gesundheitsfachkräften befassen.

Kernaussagen

Kulturelle Vorstellungen über Blutungen nach der Geburt prägen sowohl die individuelle Wahrnehmung als auch die gemeinschaftliche Haltung gegenüber einer PPH. Wenn Frauen zu Hause oder im Gemeindeumfeld gebären, führen kulturelle Überzeugungen zu Verzögerungen bei der Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung. In Gesundheitseinrichtungen hat das Gesundheitspersonal Schwierigkeiten, den Blutverlust nach der Geburt abzuschätzen. Zu den häufigen Herausforderungen bei der Behandlung von PPH gehören unzureichende Personalausstattung, stressige Arbeitsbedingungen, unzureichende Ausbildung und Mangel an Medikamenten und Zubehör.

Was wurde in diesem Review untersucht?

Durch frühzeitige Erkennung und den Einsatz evidenzbasierter Therapien lassen sich Komplikationen der PPH wirksam vermeiden. Die Erkennung und Behandlung von PPH kann jedoch eine Herausforderung darstellen, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Zu den Herausforderungen gehören der ungleiche Zugang zu Krankenhäusern und der begrenzte Zugang zu wirksamen Medikamenten. Unser Ziel war es, die Perspektiven von Frauen und Gemeindemitgliedern zu den Ursachen und Folgen von PPH zu erfassen, die Erfahrungen von Frauen, die eine PPH überlebt haben, zu dokumentieren und Einblicke in den Umgang mit PPH im häuslichen und gemeinschaftlichen Umfeld zu gewinnen. Zudem wollten wir die Perspektiven und Erfahrungen des Gesundheitspersonals im Umgang mit PPH erfassen – insbesondere hinsichtlich der wahrgenommenen Herausforderungen bei der Prävention, Erkennung und Behandlung.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Für unsere Analyse haben wir 43 Studien aus 26 Ländern ausgewählt. Die meisten Studien stammten aus Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen (33 Studien) und bezogen die Perspektive von Frauen und Gesundheitsfachkräften ein. Wir haben unser Vertrauen in mehrere Ergebnisse von hoch auf moderat, niedrig oder sehr niedrig herabgestuft, hauptsächlich wegen methodischer Einschränkungen bei der Durchführung der Studien oder weil wichtige Perspektiven von bestimmten Typen von Teilnehmenden oder in bestimmten Settings fehlen (Relevanz).

In vielen Gemeinschaften werden Blutungen während und nach der Geburt als "normal" und notwendig angesehen, um "Unreinheiten" auszuscheiden und den Körper der Frau nach Schwangerschaft und Geburt wiederherzustellen und zu reinigen (moderates Vertrauen in diese Aussage). In einigen Gemeinschaften herrschen falsche Vorstellungen über die Ursachen von PPH, z. B. dass PPH durch übernatürliche Kräfte oder böse Geister verursacht werde, die Frauen für die Missachtung oder den Ungehorsam gegenüber sozialen Regeln oder für Fehler in der Vergangenheit bestrafen (hohes Vertrauen in diese Aussage).

Bei Frauen, die zu Hause oder in einer Gemeinde-Einrichtung entbinden, sind weibliche Familienmitglieder oder traditionelle Geburtshelferinnen die ersten, die übermäßige Blutungen nach der Geburt erkennen (hohes Vertrauen in diese Aussage). Die Entscheidung, ob und wann man sich bei Verdacht auf PPH in Behandlung begibt, wird in der Regel von Familienmitgliedern getroffen, die häufig von vertrauenswürdigen traditionellen Geburtshelferinnen oder Gemeinde-Hebammen beeinflusst werden (hohes Vertrauen in diese Aussage). Wird bei Frauen, die zu Hause oder in einer Gemeinde-Einrichtung entbinden, eine PPH festgestellt, kann die Entscheidung über eine anschließende Überweisung und den weiteren Versorgungspfad sehr komplex und von vielen Faktoren abhängig sein (hohes Vertrauen in diese Aussage).

Die Ersthelfer*innen bei PPH sind nicht immer qualifizierte oder geschulte Gesundheitsfachkräfte (hohes Vertrauen in diese Aussage). In Gesundheitseinrichtungen empfinden Hebammen die Einführung der visuellen Einschätzung des Blutverlusts mithilfe einer Nierenschale oder Unterlage möglicherweise als gut umsetzbar, sehen jedoch möglicherweise Herausforderungen in der genauen Beurteilung der Blutmenge (sehr geringes Vertrauen in diese Aussage). Die präzise Quantifizierung des Blutverlusts anstelle einer bloßen Schätzung ist möglicherweise für das medizinische Fachpersonal eine komplexe und potenziell kontrovers diskutierte Veränderung der etablierten Praxis (geringes Vertrauen). Frauen, die in Gesundheitseinrichtungen entbunden haben und eine PPH erlebten, beschrieben diese als schmerzhaft, peinlich und traumatisch. Partner oder andere Familienmitglieder empfanden die Erfahrung ebenso als belastend. Während einige Frauen unzufrieden darüber waren, wie wenig sie in die Entscheidungsfindung bei der Behandlung ihrer PPH einbezogen wurden, vertrauten andere darauf, dass das medizinische Fachpersonal am besten in der Lage sei, die notwendigen Entscheidungen zu treffen (moderates Vertrauen in diese Aussage).

Der Mangel an verfügbaren Ressourcen – wie Medikamenten, medizinischem Material und Blut – führt zu Verzögerungen in der rechtzeitigen Behandlung von PPH (hohes Vertrauen in diese Aussage). Das Gesundheitspersonal beschrieb die Arbeit auf der Gebärstation als stressig und intensiv, bedingt durch die knappe Personalausstattung, lange Schichten und die Unvorhersehbarkeit von Notfällen. Erschöpftes und überfordertes Personal ist möglicherweise nicht in der Lage, alle Frauen angemessen zu überwachen, insbesondere wenn mehrere Frauen gleichzeitig oder auf dem Boden der Gesundheitseinrichtung gebären; dies könnte zu Verzögerungen bei der Erkennung von PPH führen (moderates Vertrauen in diese Aussage). Eine qualitativ hochwertige Versorgung bei PPH wird durch Personalmangel, eine hohe Fluktuation erfahrener, medizinischer Fachkräfte sowie den Einsatz von weniger qualifiziertem Gesundheitspersonal erschwert (hohes Vertrauen in diese Aussage).

Ein teambasiertes Simulationstraining ermöglicht es Gesundheitsfachkräften unterschiedlicher Qualifikation – darunter Ärzt*innen, Hebammen und Laienhelfer*innen –, ein gemeinsames mentales Modell zu entwickeln. Dieses fördert wahrscheinlich eine schnelle, effektive und freundliche Teamarbeit bei der Versorgung von Frauen mit PPH (moderates Vertrauen in diese Aussage).

Wie aktuell ist dieser Review?

Wir haben nach Studien gesucht, die vor dem 13. November 2022 veröffentlicht wurden.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass die Verbesserung der Prävention, Erkennung und Behandlung von PPH auf einem komplexen System miteinander interagierender Rollen und Verhaltensweisen basiert (Mitglieder der Gemeinschaft, Frauen sowie Gesundheitspersonal mit unterschiedlicher Qualifikation und Erfahrung). Zahlreiche individuelle, soziokulturelle und umweltbedingte Faktoren beeinflussen die Entscheidungen und Verhaltensweisen von Frauen, Familien, Mitgliedern der Gemeinschaft, Gesundheitspersonal und Gesundheitsmanagern. Bei der Planung und Umsetzung von PPH-Maßnahmen zur Veränderung oder Beeinflussung entsprechender Verhaltensweisen ist es entscheidend, die übergeordneten Strukturen des Gesundheits- und Sozialsystems mit einzubeziehen. Wir haben eine Reihe von Empfehlungen entwickelt, die Programmmanager*innen, politische Entscheidungsträger*innen, Forschende und weitere zentrale Akteure dabei unterstützen können, Faktoren zu erkennen und zu adressieren, die die Einführung und Ausweitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention, Erkennung und Behandlung von PPH beeinflussen.

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Hintergrund: 

Die postpartale Hämorrhagie (PPH), definiert als Blutverlust von 500 ml oder mehr nach der Geburt, ist weltweit die häufigste Ursache für Müttersterblichkeit. Es ist möglich, Komplikationen einer postpartalen Hämorrhagie (PPH) durch rechtzeitige und angemessene Erkennung und Behandlung zu verhindern. Die Implementierung der besten Methoden zur Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von PPH stellt jedoch insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen eine erhebliche Herausforderung dar.

Zielsetzungen: 

Unser übergeordnetes Ziel war es, die Wahrnehmungen und Erfahrungen von Frauen, Mitgliedern der Gemeinschaft, Laiengesundheitshelfer*innen und ausgebildetem Gesundheitspersonal zu untersuchen, die Erfahrung mit postpartalen Blutungen (PPH) oder mit deren Prävention, Erkennung und Behandlung im Gemeinde- oder Gesundheitseinrichtungsbereich haben.

Suchstrategie: 

Wir suchten am 13. November 2022 in MEDLINE, CINAHL, Scopus und nach grauer Literatur ohne sprachliche Einschränkungen. Wir führten anschließend eine Referenzüberprüfung und eine Vorwärtszitierungssuche der eingeschlossenen Studien durch.

Auswahlkriterien: 

Wir schlossen qualitative Studien und Mixed-Methods-Studien mit einer erkennbaren qualitativen Komponente ein. Wir schlossen Studien ein, welche die Wahrnehmungen und die Erfahrungen von Frauen, Mitgliedern der Gemeinschaft, traditionellen Geburtshelfer*innen, Anbietern von Gesundheitsleistungen und Gesundheitsmanagern mit der Prävention, Erkennung und Behandlung von PPH erforschten.

Datensammlung und ‐analyse: 

Wir verwendeten ein dreistufiges Maximum-Variation-Sampling, um die Vielfalt in Bezug auf die Relevanz der Studien für die Ziele des Reviews, die Datenreichhaltigkeit und die Abdeckung zentraler kontextueller Elemente zu gewährleisten: Setting (Region, Einkommensniveau des Landes), Perspektive (Art der Teilnehmenden) und thematischer Schwerpunkt (Prävention, Erkennung, Management). Für die Datenextraktion wurde ein speziell für diesen Review entwickeltes Formular verwendet. Zur Analyse und Synthese der Evidenz verwendeten wir die thematische Synthese. Zur Bewertung unseres Vertrauens in jedes Einzelergebnis nutzten wir den GRADE-CERQual-Ansatz (Confidence in the Evidence from Reviews of Qualitative Research). Um Faktoren zu identifizieren, welche die Implementierung der Intervention beeinflussen könnten, ordneten wir jedes Ergebnis des Review dem Theoretical Domains Framework (TDF) und dem Capability, Motivation, and Opportunity Model of Behaviour Change (COM-B) zu. Wir verwendeten das Behaviour Change Wheel, um Implikationen für die Praxis zu untersuchen.

Hauptergebnisse: 

Wir schlossen 67 Studien ein und wählten 43 Studien für unsere Analyse aus. Die meisten Studien stammten aus Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen (33 Studien), und in den meisten wurde die Perspektive von Frauen und Gesundheitsfachkräften berücksichtigt. Wir stuften unser Vertrauen in mehrere Ergebnisse von hoch auf mäßig, gering oder sehr gering herab, hauptsächlich aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Art und Weise, wie die Studien durchgeführt wurden (methodische Einschränkungen), oder aufgrund von Bedenken, dass wichtige Perspektiven von bestimmten Typen von Teilnehmenden oder in bestimmten Settings fehlten (Relevanz).

In vielen Gemeinschaften werden Blutungen während und nach der Geburt als "normal" und notwendig angesehen, um "Unreinheiten" auszuscheiden und den Körper der Frau nach Schwangerschaft und Geburt wiederherzustellen und zu reinigen (moderates Vertrauen). In einigen Gemeinschaften haben die Menschen falsche Vorstellungen über die Ursachen von PPH oder glauben, dass PPH durch übernatürliche Kräfte oder böse Geister verursacht werde, welche Frauen für die Missachtung oder den Ungehorsam gegenüber sozialen Regeln oder für Fehler in der Vergangenheit bestrafen (hohes Vertrauen).

Bei Frauen, die zu Hause oder in Gemeindesettings entbinden, sind weibliche Familienmitglieder oder traditionelle Geburtshelferinnen die ersten, die übermäßige Blutungen nach der Geburt erkennen (hohes Vertrauen). Die Entscheidung, ob und wann man sich bei Verdacht auf PPH in Behandlung begibt, wird in der Regel von Familienmitgliedern getroffen, die häufig von vertrauenswürdigen traditionellen Geburtshelferinnen oder Gemeinde-Hebammen beeinflusst werden (hohes Vertrauen). Wird bei Frauen, die zu Hause oder in Gemeindesettings entbinden, eine PPH festgestellt, kann die Entscheidungsfindung über die anschließende Überweisung und den weiteren Versorgungspfad vielschichtig und komplex sein (hohes Vertrauen).

Die Ersthelfer*innen bei PPH sind nicht immer qualifizierte oder geschulte Gesundheitsfachkräfte (hohes Vertrauen). In Gesundheitseinrichtungen halten Hebammen möglicherweise die Einführung der visuellen Schätzung des Blutverlustes mit einer Nierenschale oder einer Unterlage als gut machbar, aber für schwierig, die Menge des Blutverlustes angemessen zu interpretieren (sehr geringes Vertrauen). Die präzise Quantifizierung des Blutverlusts anstelle einer bloßen Schätzung ist möglicherweise für das medizinische Fachpersonal eine komplexe und potenziell kontrovers diskutierte Veränderung der etablierten Praxis (geringes Vertrauen). Frauen, die in Gesundheitseinrichtungen entbunden haben und eine PPH erlebten, beschrieben diese als schmerzhaft, peinlich und traumatisch. Partner oder andere Familienmitglieder empfanden die Erfahrung ebenso als belastend. Während einige Frauen mit dem Grad ihrer Beteiligung an der Entscheidungsfindung bei der Behandlung von PPH unzufrieden waren, waren andere der Meinung, dass das Gesundheitspersonal am besten in der Lage sei, Entscheidungen zu treffen (moderates Vertrauen).

Eine unzureichende Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen – darunter Medikamente, medizinisches Verbrauchsmaterial und Blutprodukte – führt nachweislich zu Verzögerungen in der zeitgerechten Behandlung von PPH (hohes Vertrauen). Die Verfügbarkeit von Misoprostol in der Gemeindeversorgung ist eingeschränkt, da keine Lagerbestände vorhanden sind, die Versorgungssysteme unzureichend funktionieren und das Gesundheitspersonal vor Ort Schwierigkeiten hat, das Medikament zu beschaffen (moderates Vertrauen). Das Gesundheitspersonal beschrieb die Arbeit auf der Gebärstation als stressig und intensiv, bedingt durch die knappe Personalausstattung, lange Schichten und die Unvorhersehbarkeit von Notfällen. Erschöpftes und überfordertes Personal ist möglicherweise nicht in der Lage, alle Frauen angemessen zu überwachen, insbesondere wenn mehrere Frauen gleichzeitig oder auf dem Boden der Gesundheitseinrichtung gebären; dies könnte zu Verzögerungen bei der Erkennung von PPH führen (moderates Vertrauen). Ein Mangel an qualifiziertem Personal, eine hohe Fluktuation unter Gesundheitsfachkräften sowie die Beschäftigung von medizinischem Personal mit niedriger Qualifikation stellen zentrale Herausforderungen für die Sicherstellung einer hochwertigen PPH-Versorgung dar (hohes Vertrauen).

Ein teambasiertes Simulationstraining ermöglicht es Gesundheitsfachkräften unterschiedlicher Qualifikation – darunter Ärzt*innen, Hebammen und Laienhelfer*innen –, ein gemeinsames mentales Modell zu entwickeln. Dieses fördert wahrscheinlich eine schnelle, effektive und freundliche Teamarbeit bei der Versorgung von Frauen mit PPH (moderates Vertrauen).

Anmerkungen zur Übersetzung: 

E. Lesta, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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