Übungen zur Vorbeugung von Stürzen bei selbstständig lebenden älteren Menschen

Hintergrund

Jedes Jahr stürzen mindestens ein Drittel der selbstständig lebenden Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Für Übungen, die Gleichgewicht, Gang und Muskelkraft gezielt ansprechen, wurde bereits nachgewiesen, dass sie Stürze bei diesen Menschen verhindern.

Zielsetzung

Ziel dieses Reviews ist die Bewertung der Wirksamkeit (Nutzen und Schaden) von Übungen, um Stürze bei älteren Menschen, die selbstständig leben, vorzubeugen.

Datum der Suche

Wir suchten bis zum 02. Mai 2018 in der Fachliteratur im Bereich Gesundheitswesen nach für diesen Review relevanten Berichten zu randomisierten kontrollierten Studien. In solchen Studien werden die Personen zufällig zugeteilt, um eine von zwei oder mehreren Interventionen zu erhalten, die in der Studie miteinander verglichen werden. Durch die zufällige Zuteilung zu einer der Gruppen wird sichergestellt, dass die Teilnehmerpopulationen in den Interventionsgruppen ähnlich sind.

Studienmerkmale

In diesen Review wurden 108 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 23.407 Teilnehmern eingeschlossen. Diese wurden in 25 Ländern durchgeführt. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer 76 Jahre alt und 77% waren Frauen.

Vertrauenswürdigkeit der Evidenz

Die Mehrheit der Studien hatte ein unklares oder hohes Risiko für Bias, was hauptsächlich auf die mangelhafte Verblindung der Studienteilnehmer und des Personals bezüglich der Interventionen zurückzuführen ist. Dies hätte die Durchführung der Studie beeinflussen und sich auf die Bewertung der Endpunkte auswirken können. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz hinsichtlich der Wirkung von Übungen zur Sturzprävention war hoch. Das Risiko für Knochenbrüche, Krankenhausaufenthalte, medizinische Versorgung und unerwünschte Ereignisse wurde nicht gut berichtet und wo es berichtet wurde, war die Evidenz dafür von niedriger bis sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit. Dies führt zu Unsicherheiten, wenn Schlussfolgerungen anhand der Evidenz für diese Endpunkte gezogen werden sollen.

Hauptergebnisse

81 Studien verglichen die Intervention Übungen (in jeder Form) mit einer Kontrollintervention, die nicht dazu geeignet ist, Stürze bei älteren selbstständig lebenden Menschen (die auch nicht vor kurzem aus dem Krankenhaus entlassen wurden) zu verhindern. Übungen vermindern die Anzahl der Stürze im Laufe der Zeit um etwa ein Viertel (23% Reduktion). Veranschaulicht weisen diese Daten darauf hin, dass wenn bei 1000 Personen innerhalb eines Jahres 850 Stürze auftreten würden, Übungen zu 195 weniger Stürzen führen würden. Durch Übungen verringert sich auch die Anzahl der Personen, die einen oder mehrere Stürze erleben (Anzahl der Gestürzten), um etwa ein Sechstel (15%) im Vergleich zur Kontrollgruppe. Gäbe es beispielsweise 480 gestürzte Personen von 1000 Personen innerhalb eines Jahres, dann würden Übungen dazu führen, dass es 72 weniger Gestürzte gibt. Die Auswirkungen auf Stürze waren ähnlich, unabhängig davon, ob die eingeschlossenen Personen in den Studien ein erhöhtes Sturzrisiko hatten oder nicht.

Wir fanden heraus, dass Übungen, die hauptsächlich Gleichgewichts- und funktionales Training beinhalteten, die Stürze im Vergleich zu einer inaktiven Kontrollgruppe reduzierten. Die Trainingsprogramme, die unterschiedliche Arten von Übungen umfassen (zumeist Gleichgewichtsübungen und funktionales Training sowie Krafttraining), haben die Stürze vermutlich reduziert.Tai Chi könnte die Anzahl der Stürze ebenfalls senken. Wir fanden nicht ausreichend Evidenz, um die Wirksamkeit von Trainingsprogrammen zu bestimmen, die hauptsächlich als Krafttraining, Tanz- oder Walkingprogramme eingestuft werden. Wir fanden keine Evidenz, um die Wirksamkeit von Trainingsprogrammen zu bestimmen, die vor allem Übungen zur Flexibilität oder Ausdauer beinhalteten.

Es gab deutlich weniger Evidenz in Bezug auf Endpunkte, die nicht die Stürze selbst betreffen. Übungen könnten die Anzahl der Menschen, die sich Knochenbrüche zuziehen, um mehr als ein Viertel (27%) im Vergleich zur Kontrollgruppe vermindern. Es sind jedoch weitere Studien nötig, um dies zu bestätigen. Übungen könnten auch das Risiko für einen Sturz verringern, der ärztliche Hilfe erfordert. Wir haben nicht ausreichend Evidenz dafür gefunden, wie sich Übungen auf das Risiko für einen Sturz auswirken, der eine Aufnahme ins Krankenhaus nach sich zieht. Übungen könnten einen sehr geringen Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität haben. Die Evidenz für unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Übungen war begrenzt. Wenn darüber berichtet wurde, dann waren die unerwünschten Ereignisse in der Regel keine schwerwiegenden Ereignisse und muskuloskelettaler Natur; eine Ausnahme bildete eine Studie, in der über eine Beckenstressfraktur und einen Leistenbruch berichtet wurde.

Schlussfolgerungen der Autoren: 

Übungsprogramme reduzieren die Sturzrate und die Anzahl an stürzenden Personen bei selbstständig lebenden Personen (Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit). Die Auswirkungen solcher Übungsprogramme sind für andere Endpunkte, die Stürze nicht betreffen, unsicher. Dort wo sie berichtet wurden, waren unerwünschte Ereignisse größtenteils nicht schwerwiegend.

Übungsprogramme, die Stürze reduzieren, beinhalten vor allem Balance- und Funktionsübungen, während Programme, die Stürze möglicherweise reduzieren, mehrere Übungskategorien (typischerweise Balance- und Funktionsübungen mit Widerstandsübungen) umfassen. Tai Chi könnte ebenfalls Stürze vorbeugen; die Wirkung von Widerstandstraining (ohne Balance- und Funktionsübungen), Tanz oder Walking auf die Sturzrate ist allerdings unklar.

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Hintergrund: 

Jedes Jahr stürzen mindestens ein Drittel der selbstständig lebenden Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Für Übungen, die Gleichgewicht, Gang und Muskelkraft gezielt ansprechen, wurde bereits nachgewiesen, dass sie Stürze bei diesen Menschen verhindern. Eine aktuelle Synthese der Evidenz ist wichtig, aufgrund der schweren langfristigen Folgen, die mit Stürzen und dadurch entstehenden Verletzungen in Verbindung stehen.

Zielsetzungen: 

Ziel dieses Reviews ist die Bewertung der Wirksamkeit (Nutzen und Schaden) von Übungen, um Stürze bei älteren Menschen, die selbstständig leben, vorzubeugen.

Suchstrategie: 

Die Review-Autoren durchsuchten CENTRAL, MEDLINE, Embase, drei weitere Datenbanken und zwei Studienregister bis zum 2. Mai 2018. Zusätzlich wurden Referenzen überprüft und Kontakt mit Studienautoren aufgenommen, um zusätzliche Studien zu identifizieren.

Auswahlkriterien: 

Die Review-Autoren schlossen randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ein, die die Wirkungen von jeglicher Form von Übungen als einzelne Intervention auf Stürze bei selbstständig lebenden Menschen über 60 bewerteten. Studien, die bestimmte Erkrankungen, wie Schlaganfall, betrachteten, wurden ausgeschlossen.

Datensammlung und ‐analyse: 

Die Review-Autoren verwendeten methodische Verfahren, die von Cochrane standardmäßig erwartet werden. Der primäre Endpunkt war die Sturzrate.

Hauptergebnisse: 

Die Review-Autoren schlossen 108 RCTs aus 25 Ländern mit 23.407 Teilnehmern, die selbstständig lebten, ein. Es gab neun Cluster-RCTs. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer 76 Jahre alt und 77% waren Frauen. Die meisten Studien hatten ein unklares oder hohes Risiko für Bias für einen oder mehrere Punkte. Die Ergebnisse aus vier Studien, mit Fokus auf Personen, die kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen wurden und aus Vergleichen von verschiedenen Übungen sind hier nicht beschrieben.

Übungen (aller Art) versus Kontrolle

Insgesamt verglichen 81 Studien (19.684 Teilnehmer) Übungen (aller Art) mit einer Kontrollintervention (es wird nicht davon ausgegangen, dass diese Stürze verhindert). Übungen reduzieren die Sturzrate um 23% (Rate Ratio (RaR) 0,77, 95% Konfidenzintervall (KI) 0,71 bis 0,83; 12.981 Teilnehmer, 59 Studien; Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit). Basierend auf einem beispielhaften Risiko von 850 Stürzen bei 1000 Menschen, die ein Jahr lang beobachtet werden (Daten basierend auf dem Risiko der Kontrollgruppe aus 59 Studien), bedeutet dies 195 (95% KI 144 bis 246) weniger Stürze in der Übungsgruppe. Außerdem reduzieren Übungen die Anzahl an Personen, die einen oder mehrere Stürze erleben, um 15% (Risiko-Verhältnis (RR) 0,85, 95% KI 0,81 bis 0,89; 13.518 Teilnehmer, 63 Studien; Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit). Basierend auf einem beispielhaften Risiko von 480 stürzenden Menschen bei 1000 Menschen, die ein Jahr lang beobachtet werden (Daten basierend auf Risiko der Kontrollgruppe aus 63 Studien), bedeutet dies 72 (95% KI 52 bis 91) weniger stürzende Menschen in der Übungsgruppe. Subgruppenanalysen zeigten keine Evidenz für einen Unterschied des Effekts in beiden Sturzendpunkten, je nachdem ob Studien Teilnehmer mit einem erhöhten Sturzrisiko auswählten oder nicht.

Die Ergebnisse zu anderen Endpunkten sind weniger sicher, unter anderem da die Anzahl der Studien und Teilnehmer relativ niedrig war. Übungen könnten die Anzahl an Personen, die einen oder mehrere Brüche aufgrund von Stürzen erleiden, reduzieren (RR 0,73, 95% KI 0,56 bis 0,95; 4.047 Teilnehmer, 10 Studien; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) und die Anzahl an Personen, die aufgrund eines oder mehrerer Stürze medizinische Behandlung erfordern, ebenfalls verringern (RR 0,61, 95% KI 0,47 bis 0,79; 1.019 Teilnehmer, 5 Studien; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit). Die Auswirkung von Übungen auf die Anzahl an Personen, die einen oder mehrere Stürze erleben, die eine Krankenhauseinweisung erfordern, ist unklar (RR 0,78, 95% KI 0,51 bis 1,18; 1.705 Teilnehmer, 2 Studien; Evidenz von sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit). Übungen könnten nur einen wenig bedeutenden Unterschied hinsichtlich gesundheitsbezogener Lebensqualität ausmachen: Konvertierung des gepoolten Ergebnisses (standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD) -0,03, 95% KI -0,10 bis 0,04; 3172 Teilnehmer, 15 Studien; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) zu EQ-5D und SF-36 Ergebnissen zeigte, dass die jeweiligen 95% KIs um einiges kleiner waren als der kleinste relevante Unterschied für beide Skalen.

Unerwünschte Ereignisse wurden bis zu einem gewissen Grad in 27 Studien (6.019 Teilnehmer) berichtet. Nur eine Studie beobachtete sie allerdings gründlich; sowohl in den Übungs- als auch in den Kontrollgruppen. Vierzehn Studien berichteten nicht über unerwünschte Ereignisse. Bis auf zwei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (eine Beckenstressfraktur und eine Leistenbruchoperation), die in einer Studie berichtet wurden, waren die restlichen keine schwerwiegenden unerwünschte Ereignisse und vor allem muskuloskelettaler Natur. In den Übungsgruppen gab es einen Median von drei Ereignissen (im Bereich von 1 bis 26).

Unterschiedliche Übungsarten versus Kontrolle

Verschiedene Arten von Übungen hatten unterschiedliche Auswirkungen auf Stürze (Test für Subgruppenunterschiede, Sturzrate: P = 0,004, I² = 71%). Verglichen mit der Kontrolle reduzierten Balanceübungen und Funktionsübungen die Sturzrate um 24% (RaR 0,76, 95% KI 0,70 bis 0,81; 7.920 Teilnehmer, 39 Studien; Evidenz von hoher Qualität) und die Anzahl an Personen, die einen oder mehrere Stürze erleben, um 13% (RR 0,87, 95% KI 0,82 bis 0,91; 8.288 Teilnehmer, 37 Studien; Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit). Mehrere Formen von Übungen (meistens Balance- und Funktionsübungen mit Widerstandsübungen) reduzieren wahrscheinlich die Sturzrate um 34% (RaR 0,66, 95% KI 0,50 bis 0,88; 1.374 Teilnehmer, 11 Studien; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit) und die Anzahl an Personen, die einen oder mehrere Stürze erleben um 22% (RR 0,78, 95% KI 0,64 bis 0,96; 1.623 Teilnehmer, 17 Studien; Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit). Tai Chi könnte die Sturzrate um 19% reduzieren (RaR 0,81, 95% KI 0,67 bis 0,99; 2.655 Teilnehmer, 7 Studien; Evidenz von niedriger Vertrauenswürdigkeit) und die Anzahl an Personen, die stürzen, um 20% verringern (RR 0,80, 95% KI 0,70 bis 0,91; 2.677 Teilnehmer, 8 Studien; Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit). Die Review-Autoren sind sich unsicher bezüglich der Wirkungen auf die Sturzrate und die Anzahl der stürzenden Personen von Programmen, die vor allem Widerstandstraining, Tanz oder Walkingprogramme beinhalten. Keine Studien verglichen Flexibilität oder Ausdauersport mit einer Kontrolle.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

Abstract: A. Wenzel, PLS: K. Kohler, freigegeben durch Cochrane Deutschland.

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