Welchen Nutzen und welche Risiken haben Medikamente, die auf das Immunsystem wirken, bei der Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose?

Kernaussagen

- Nach zweijähriger Behandlung verringern Natalizumab, Cladribin und Alemtuzumab am wirksamsten die Häufigkeit der Schübe bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose. Natalizumab verlangsamt nach zweijähriger Behandlung wahrscheinlich auch das Fortschreiten einer Behinderung.

- Längere Studien sind erforderlich, um bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose den Nutzen und Schaden von Medikamenten zu beurteilen, die auf das Immunsystem wirken.

- In künftigen Studien sollten diese Medikamente direkt miteinander verglichen werden. Es sollten zudem vor allem die Wirkungen untersucht werden, die für Menschen mit Multipler Sklerose wichtig sind, wie Lebensqualität und die Fähigkeiten zu denken, zu lernen, sich zu erinnern, zu urteilen und Entscheidungen zu treffen.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose ist eine neurologische Erkrankung, die wichtige Körperfunktionen beeinträchtigt. Sie wird durch Entzündungen des Gehirns und des Rückenmarks verursacht, die im Laufe der Zeit zu einer Beeinträchtigung wichtiger Aktivitäten des täglichen Lebens führen, z. B. des Gehens und der Selbstversorgung. Menschen mit Multipler Sklerose leiden unter Symptomen wie Schwäche, Müdigkeit, schmerzhaften Muskelkrämpfen und verminderter Sensibilität in bestimmten Körperteilen. Im Laufe der Jahre können sich diese Symptome verschlimmern und dazu führen, dass die Betroffenen auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Die häufigste Form der Multiplen Sklerose wird als "schubförmig remittierend" bezeichnet, weil die Symptome im Laufe der Jahre kommen und gehen. Das Auftreten von Symptomen wird als "Schub" bezeichnet. Mit der Zeit werden die Schübe immer häufiger, die Symptome werden belastender, und die Zeiten zwischen den Schüben, in denen es den Betroffenen gut geht, werden kürzer. Multiple Sklerose ist eine belastende Krankheit, die typischerweise junge Menschen in der aktivsten Phase ihres Lebens betrifft, vor allem Frauen zwischen 20 und 40 Jahren.

Wie wird Multiple Sklerose behandelt?

Derzeit gibt es keine Behandlung, die Multiple Sklerose heilen kann. Sie wird mit sogenannten "krankheitsmodifizierenden" Medikamenten behandelt, die darauf abzielen, die Häufigkeit der Schübe zu verringern und das Fortschreiten der Behinderung zu verlangsamen. Es gibt viele solcher Medikamente, die Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark reduzieren.

Was wollten wir herausfinden?

Wir wollten herausfinden, welche "krankheitsmodifizierenden" Medikamente am besten dazu beitragen, dass sich Menschen mit Multipler Sklerose besser fühlen, gleichzeitig gut verträglich sind und die wenigsten unerwünschten Wirkungen haben. Insbesondere wollten wir herausfinden, ob ein Medikament die Häufigkeit von Schüben und die Verschlechterung der Behinderung wirksamer reduziert als die anderen, und ob ein Medikament besser vertragen wird als die anderen oder weniger unerwünschte Wirkungen verursacht.

Wie gingen wir vor?

Wir suchten umfassend nach Studien, in denen ein beliebiges "krankheitsmodifizierendes" Medikament mit einem anderen Medikament oder mit keiner Behandlung bei Erwachsenen (≥ 18 Jahre) mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose verglichen wurde.

Wir verglichen die Ergebnisse der Studien, fassten sie mit statistischen Methoden zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz auf der Grundlage von Faktoren wie Studienmethoden, Anzahl der Teilnehmenden und Genauigkeit der Ergebnisse.

Was fanden wir heraus?

Wir fanden 50 Studien mit 36.541 Menschen mit Multipler Sklerose (68,6 % Frauen und 31,4 % Männer), die mindestens ein Jahr lang mit einem "krankheitsmodifizierenden" Medikament behandelt wurden. Die größte Studie umfasste 2.244 Personen, die kleinste 19 Personen. Die Studien wurden weltweit durchgeführt, hauptsächlich in den USA und Europa. Die meisten Studien dauerten 12 oder 24 Monate; nur acht Studien dauerten länger als 24 Monate. Die meisten Studien wurden von Pharmaunternehmen durchgeführt, um von den Arzneimittelbehörden die Genehmigung für die Zulassung des untersuchten Medikaments zu erhalten. In fünfundzwanzig Studien wurde ein "krankheitsmodifizierendes" Medikament mit keiner Behandlung verglichen; in den anderen Studien wurden zwei verschiedene Arten von "krankheitsmodifizierenden" Medikamenten verglichen. Wir sind sehr sicher, dass Natalizumab, Cladribin und Alemtuzumab die Häufigkeit von Schüben nach zweijähriger Behandlung wirksamer verringern als die meisten anderen Medikamente. Wir sind mäßig sicher, dass Natalizumab das Fortschreiten der Behinderung nach zweijähriger Behandlung verlangsamt. Wir sind mäßig sicher, dass Menschen, die Fingolimod, Teriflunomid, Glatirameracetat, Interferon beta-1a, Laquinimod, Natalizumab und Daclizumab einnehmen, das Medikament eher wegen unerwünschter Wirkungen absetzen.

Was schränkt die Evidenz ein?

Unser Vertrauen in die erwünschten und unerwünschten Wirkungen von "krankheitsmodifizierenden" Medikamenten ist begrenzt, vor allem weil die Evidenz auf wenigen Fällen von Schüben und Verschlechterung der Behinderung beruht, und weil wir Bedenken haben, dass die Interessen der Pharmaunternehmen die Berichterstattung über die Studienergebnisse beeinflusst haben könnten.

Wie aktuell ist diese Evidenz ?

Die Evidenz ist auf dem Stand von 8. August 2022.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

A. Egger-Rainer, M. Fischill-Neudeck, B. Schindler, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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