Antibiotika gegen akute Mittelohrentzündung bei Kindern

Kernaussagen
In Ländern mit hohem Einkommen erholen sich die meisten Kinder mit akuter Otitis media (AOM) spontan und ohne Komplikationen. Im Vergleich zu Placebo haben Antibiotika keine unmittelbar schmerzlindernde Wirkung und nur eine geringe Wirkung auf die Schmerzen in den Tagen danach.

Der Nutzen von Antibiotika muss gegen den möglichen Schaden abgewogen werden: Auf 14 Kinder, die mit Antibiotika behandelt werden, kommt ein Kind, bei dem ein unerwünschtes Ereignis (wie Erbrechen, Durchfall oder Hautausschlag) auftritt, das ohne Antibiotika nicht aufgetreten wäre.

In Ländern mit hohem Einkommen scheint für die meisten Kinder mit leichter Erkrankung eine Strategie des „abwartenden Beobachtens“ gerechtfertigt.

Was ist eine akute Mittelohrentzündung?
Die akute Mittelohrentzündung (AOM) ist eine der häufigsten Erkrankungen im frühen Säuglings- und Kindesalter. Sie verursacht Schmerzen und allgemeine Krankheitssymptome wie Fieber, Reizbarkeit und Probleme beim Füttern und Schlafen.

Was wollten wir herausfinden?
Wir wollten herausfinden, ob Antibiotika die Anzeichen und Symptome bei Kindern mit AOM wirksam lindern können.

Wie gingen wir vor?
Wir suchten nach Studien, die die Wirksamkeit von Antibiotika im Vergleich zu Placebo oder abwartender Beobachtung („watchful waiting“) bei Kindern im Alter von einem Monat bis 15 Jahren mit AOM untersuchten. Wir verglichen die Ergebnisse, fassten sie mit statistischen Methoden zusammen und bewerteten unser Vertrauen in die Evidenz auf der Grundlage von Faktoren wie Studienmethoden und Größe der Effekte.

Was fanden wir?
Antibiotika erhöhen nicht die Zahl der Kinder, deren Schmerzen innerhalb von 24 Stunden abklingen (60% der Kinder haben sich zu diesem Zeitpunkt erholt oder bei ihnen ist eine Besserung eingetreten). Die Zahl der Kinder mit Schmerzen in den folgenden Tagen wird durch Antibiotika nur geringfügig verringert. Die Zahl der Kinder, bei denen die die akute Mittelohrentzündung zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftritt, wird im Vergleich zu Placebo nicht reduziert. Im Vergleich zu Placebo verringerten Antibiotika die Zahl der Kinder mit Trommelfellperforationen (einem Riss) und AOM im ursprünglich nicht betroffenen Ohr leicht. Antibiotika verringerten die Zahl der Kinder mit abnormalen Tympanometrie-Befunden (ein Test zur Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Mittelohrs) nach zwei bis vier Wochen, nicht aber nach sechs bis acht Wochen und drei Monaten.

Es lagen keine ausreichenden Angaben dazu vor, ob Antibiotika seltene Komplikationen wie Mastoiditis (Ausbreitung der Entzündung auf den Knochen rund um das Ohr) verringern. Alle in diesen Review einbezogenen Studien stammten aus Ländern mit hohem Einkommen. Es mangelt an Daten aus Populationen, in denen eine höhere Inzidenz von akuter Mittelohrentzündung und ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Mastoiditis besteht.

Antibiotika verursachten unerwünschte Wirkungen wie Durchfall, Erbrechen und Hautausschlag. Es ist schwierig, die geringen Vorteile gegen die geringen Risiken von Antibiotika bei Kindern mit akuter Mittelohrentzündung (AOM) abzuwägen. Für die meisten Kinder mit einer milden Krankheitsform in einkommensstarken Ländern erscheint eine abwartende Beobachtung jedoch gerechtfertigt.

Was schränkt die Evidenz ein?
Für den Vergleich von Antibiotika mit Placebo ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz hoch, dass Antibiotika Schmerzen innerhalb der ersten 24 Stunden nicht lindern und in den darauf folgenden Tagen nur geringfügig lindern. Nur moderat ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz, dass Antibiotika die Schmerzen 10 bis 12 Tage nach der Erstuntersuchung der Kinder verringern. Moderat deshalb, da nur eine Studie dieses Ergebnis aus einer Sekundäranalyse berichtet. Als sicher gilt, dass Antibiotika die Zahl der Kinder mit abnormalen Tympanometrie-Ergebnissen nach zwei bis vier Wochen geringfügig verringern, dass sie aber das Risiko nach drei Monaten nicht verringern. Sicher ist auch, dass Antibiotika das Risiko unerwünschter Wirkungen erhöhen.

Für den Vergleich der sofortigen Antibiotikagabe mit „abwartender Beobachtung“ ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz niedrig, dass die sofortige Antibiotikagabe die Schmerzen zwei bis drei Tage nach der Untersuchung verringert, und moderat, dass die sofortige Antibiotikagabe die Schmerzen nach drei bis sieben Tagen nicht verringert. Unser Vertrauen in diese Ergebnisse deshalb eingeschränkt, da wir Bedenken hinsichtlich der Art und Weise haben, wie einige der Studien durchgeführt wurden.

Wie aktuell ist die vorliegende Evidenz?
Unsere Evidenz ist auf dem Stand vom 14. Februar 2023. Die Ergebnisse dieser Aktualisierung stimmen mit früheren Versionen dieses Reviews überein.

Anmerkungen zur Übersetzung: 

B. Schindler, T. Brugger, freigegeben durch Cochrane Deutschland

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